171 - Teutelstango
spürte einen unterschwelligen suggestiven Zwang. Seine Gesichtshaut erwärmte sich. Nur das jetzt nicht, dachte er. Wenn jetzt die Tätowierung durchbrach, die sich normalerweise nur in Streßsituationen und Todesgefahr zeigte, dann konnte Cuarto kein Dämon sein, wenn er den Dämonenkiller nicht erkannte. Spätestens dann mußte das Versteckspiel ein Ende haben, die Tarnung durchschaut sein. „Du hast nicht das Recht,
meinem
Sklaven Befehle zu erteilen, Diego", wies Coco den Dämon zurecht.
„Er hat vorn beim Piloten nichts zu suchen", rechtfertigte der sich. Dorian ließ sich schulterzuckend wieder auf seinen Platz nieder. Er wollte vermeiden, daß es zu einer Konfrontation kam. Auch wenn es um nichts anderes ging - ein Kampf hier im Flugzeug konnte verheerende Folgen nach sich ziehen, und Dorian konnte nicht auf ein weiteres Leben in seiner langen Reihe vertrauen. Als Asmodi starb, hatte er die Unsterblichkeit Dorians aufgehoben - hatte er zumindest gesagt, und der Gegenbeweis war bislang noch nicht erbracht worden; zu Dorians Glück, wie er selbst fand, denn er konnte in diesem Punkt nur noch ungewisse Spekulationen anstellen.
Sicher war er jetzt dagegen, daß der Pilot einen anderen Kurs flog und daß Cuarto dahintersteckte. Wollte der Dämon etwa verhindern, daß der vermeintliche Sklave Doro erfuhr, wo genau sich die Munante-Festung befand?
Nun, dann würde er schon sein blaues Wunder erleben, denn in groben Zügen wußten Coco und Dorian wohl doch Bescheid. Zumindest konnten sie stark vermuten.
Dorian hoffte, daß das Versteckspiel bald sein Ende fand. Die Nähe des Dämons bedrückte ihn.
Nach fast dreitausend Kilometern direkter Flugstrecke setzte die Maschine endlich zur Landung an. Es war ein recht kleines Landefeld, eher ein Behelfsflughafen als eine reguläre Rollfläche. Kurz zuvor hatten sie einen ausgedehnten See überflogen. Dorian hielt ihn in Ermangelung von Vergleichsmöglichkeiten für den Poop6-See. Der gehörte zu Bolivien und weckte in Dorian den Verdacht, daß die Kursänderung doch keine Verschleierungstaktik war, sondern viel weiter in die nördlichste Spitze Chiles führte, als sie geglaubt hatten. Sie hatten die Munante-Festung in der Nähe von Antofagasta vermutet, in dieser sterilen Einöde, unwirtlich und lebensfeindlich und daher für Dämonen wie geschaffen. Jetzt aber meinte Dorian, daß ihr Ziel unmittelbar an der Grenze nach Peru lag.
Daß sie sich bereits in Peru befanden, konnte er nicht ahnen, auch nicht, daß es sich bei dem See um den noch viel größeren Titicaca-See handelte, der zur einen Hälfte zu Bolivien, zur anderen zu Peru gehört.
Das Flugzeug rollte aus, und Dorian, Coco und der Dämon stiegen aus. Ihr Gepäck mußten sie selbst ausladen, und der Kahlköpfige verschwand schneller wieder, als sie ihm guten Flug wünschen konnten. Binnen weniger Minuten war er als winziger Punkt am Horizont wieder verschwunden.
Da standen sie nun auf freiem Gelände. Am Ende des holperigen Rollfeldes, das aus einer schlecht gemähten Grasfläche bestand, erhob sich ein größerer Bretterschuppen, dessen Fenster vernagelt waren. Ein paar Masten mit Beleuchtungskörpern säumten das Rollfeld, eine Art Zaun stand frei auf dem Gelände - das war alles. Und nirgendwo war eine Menschenseele zu erkennen.
Dieser Behelfsflughafen mußte längst aufgegeben worden sein. Wahrscheinlich wurde er nur noch für äußerste Notfälle unterhalten, und auch dann kam wohl nur auf vorherige Anmeldung jemand hierher.
„Ich frage mich allen Ernstes, was wir in dieser gottverlassenen Gegend sollen", murmelte Dorian kaum hörbar. „Sollen wir unsere Köfferlein etwa durch die Wildnis bis zum nächsten Dörflein schleppen?"
Diego Cuarto ließ sich im Schneidersitz auf dem Boden nieder. Er strich mit der Hand über das Gras vor ihm. Wo er es berührte, verkohlte es ohne sichtbare Flamme und zerfiel zu Asche. In die Asche hinein malte der Dämon magische Anrufzeichen und Formeln und fügte das Munante-Symbol in zweifacher Ausführung hinzu, einmal original und einmal etwas modifiziert; wahrscheinlich sein ganz privates Sigill.
Cuarto raunte Beschwörungsformeln.
Vor ihm entstand ein Luftwirbel. Ein winziges, wolkenähnliches Gebilde bewegte sich irrend und zuckend hin und her. Cuarto konzentrierte sich darauf. Dorian sah, wie Coco lauschte. Sie preßte die Lippen zusammen. Dann aber schüttelte sie unmerklich den Kopf. Sie spürte wohl, daß hier eine besondere Art der Kommunikation
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