1711 - Der Mond-Mönch
über die Knochen spannte und den Kopf so aussehen ließ, als wäre er im Begriff, zu einem Totenschädel zu werden.
Die Nase war in der unteren Hälfte nach oben gebogen. Eine lange Oberlippe folgte. Ein Mund, dessen Lippen nicht zu sehen waren. Allerdings war er nicht geschlossen. Er stand so weit offen, dass die Zähne zu sehen waren. Sie wirkten wie kleine stumpfe Felsstücke.
Aus den Ärmeln der Kutte schauten zwei Hände mit dicken knotigen Fingern hervor. Sie waren gespreizt, aber der Mönch stand auf der Stelle und tat weiterhin nichts. Kein einziges Wort drang über seine Lippen.
Der Abt hatte seinen ersten Schrecken verdaut, obwohl er sich alles andere als wohl fühlte. Er wusste genau, dass sein Schicksal vor ihm stand, aber er traute sich nicht, dieses Thema anzusprechen, als er fragte: »Was willst du?«
»Das weißt du doch.«
»Nein, woher?«
»Du hast uns verraten.«
Der Abt lachte. »Wieso verraten? Ich habe einzig und allein meine Pflicht getan.«
»Ich hatte dich gewarnt.«
»Das weiß ich, aber ich bin manchmal sehr stark, wenn es um das Wohl der Menschen geht.«
»Das ist eben dein Fehler gewesen. Du hättest dich um Dinge kümmern sollen, die nur dich etwas angehen. Dich und das Kloster hier, in dem auch ich meine Jahre verbracht habe, bis ich meiner eigentlichen Bestimmung zugeführt wurde.«
»Ja, und das soll die ganze Welt wissen.«
»Du weißt, dass ich das nicht zulassen kann. Noch ist die Welt nicht reif genug, um alles zu erfahren.«
»Nein, ich denke anders darüber!«
»Dein Pech, mein Lieber. Ich hatte dich gewarnt, mehrmals, aber irgendwann ist Schluss. Und dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen. Diese Nacht ist meine Zeit. Der Mond-Mönch ist wieder unterwegs, um seine Taten zu vollenden.«
Der Abt schwieg. Er konnte nicht mehr reden. Ein dicker Kloß saß in seinem Hals.
Er sah den Mond-Mönch das Zimmer betreten.
Die Zelle war nicht groß, und wer diese Gestalt ansah, musste das Gefühl haben, dass sie die Zelle voll ausfüllte. Der Platz wurde eng, die Luft zum Atmen wurde knapp. Es konnte auch an ihm selbst liegen, da er kurz davor stand, in Panik zu geraten. Jetzt schossen die Vorwürfe in ihm hoch, dass er nicht geflohen war. Aus seinem Mund drangen Laute, die ihm fremd vorkamen.
Der Mönch passierte auch die beiden anderen Kerzen und baute sich dicht vor dem Abt auf.
»Wenn ich dich anschaue, dann sehe ich einen Menschen, der seinen letzten Trumpf verspielt hat. Du wirst in diesem Kloster und auch in dieser Zelle bleiben, aber nicht mehr als lebender Mensch, sondern als Toter, und irgendwann wird man dich finden, möglicherweise sogar verwest.«
Der Abt wollte etwas sagen, aber er schaffte es nicht. Dafür sah er, wie der Mönch seine Arme bewegte und sich ihm zwei gespreizte Hände näherten.
Automatisch wollte er zurückweichen. Daran allerdings hinderte ihn die Lehne des Stuhls, auf dem er saß.
So hatte der Besucher freie Bahn, und seine Hände fanden treffsicher das Ziel.
Sie legten sich um den Hals des Abts und drückten zu.
Der Sitzende zuckte noch mal in die Höhe, weit hatte er den Mund geöffnet. Aus der Tiefe der Kehle drang ein Röcheln, das nichts mehr mit einem normalen Luftholen zu tun hatte. Sein Körper wurde zurückgedrückt, und auch weiterhin bildeten die Hände eine Klammer um seinen Hals. Dabei zischte der Mönch seine Worte gegen das Gesicht des Abts. Er wollte es schlimm machen. Er drückte langsam zu, und er verfluchte dabei den Bärtigen.
Der Abt gab nicht auf. Aber er konnte nur noch mit den Füßen trampeln. Die Hände brachte er zwar hoch, aber seine Griffe waren zu schwach, um die Klammer des Würgers von seinem Hals zu lösen.
Er sah die kalten Augen des Mörders, als würde sich das Mondlicht in geschliffenen Steinen spiegeln.
Luft, Luft!
Alles in ihm gierte danach, doch der Mörder gab ihn keine Chance.
Der Abt sackte zusammen.
Das merkte auch sein Mörder. Er ließ den Hals los und musste den Mann wenig später stützen, sonst wäre dieser von der schmalen Sitzfläche gerutscht.
Das wollte er nicht, denn seine Aufgabe war noch nicht beendet. Um den Abt zu töten, hätte er ihn noch weiter würgen müssen. Das hatte er bewusst nicht getan. Er wollte, dass er das letzte Grauen bei vollem Bewusstsein erlebte.
Im Moment war der Mann bewusstlos. Das passte dem Mönch nicht. Er griff zur Karaffe, in der sich noch ein Rest Wasser befand, und kippte es über den Kopf des Mannes.
Das musste reichen, und es reichte auch,
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