1712 - Verflucht bis in den Tod
sich erst im Aufbau, und Karina wollte auf keinen Fall, dass sie ihre Machtfülle grenzenlos ausweitete.
Wenn ich aus dem Fenster schaute, konnte ich den Eindruck haben, erneut durch Sibirien zu fahren. Nur sahen wir hier keine Berge, das Land war flach und bewaldet. Es gab wohl einige Ortschaften, die sich allerdings hinter den Wällen aus Bäumen verbargen. Dass es im Sommer hier zu Waldbränden gekommen war, sahen wir nur vereinzelt. Da wirkten die Bäume dann wie mahnende Zeigefinger in einer toten Landschaft.
Die Straße war trotz des Schnees recht gut zu befahren, denn das weiße Zeug bildete eine feste Schicht, auf der die Winterreifen gut griffen.
Karina warf mir einen Blick zu und fragte mit leicht spöttischem Stimmenklang: »Na, so in Gedanken versunken?«
»Ist das ein Wunder?«
»Nein.«
»Außerdem denke ich über unsere Chancen nach.«
»Und?«
»Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, mit wie vielen Gegnern wir es zu tun bekommen.«
»Drei sind es zumindest. Das habe ich beim letzten Anruf in der Klinik erfahren. Man hat dort nichts getan und sie gehen lassen. So war es abgesprochen.«
Ich lächelte knapp. »Dann sieht ja alles positiv aus.«
»Wir wollen es hoffen.«
Und weiter ging die Reise. Geradeaus. Als hätte man beim Bau der Straße ein Lineal angelegt. Ich ging allerdings davon aus, dass wir bald abbiegen mussten, denn rechts von uns wollte der Wald kein Ende nehmen.
Uns kamen mehr Fahrzeuge entgegen, als uns überholten. Klar, Moskau war der große Magnet in der Umgebung. Seine Trabantensiedlungen hatten wir auch hinter uns gelassen. Begleitet wurden wir von einem fahlgrauen Himmel mit flachen, lang gestreckten Wolken, wobei ich hoffte, dass es nicht anfing zu schneien.
Ab und zu führten schmale Straßen oder Wege von dieser Bahn ab. Und deshalb war Karina so angespannt. Sie wollte auf keinen Fall die Abzweigung verpassen, was gar nicht einfach war. Aber man hatte ihr einen Hinweis gegeben. Am rechten Rand sollte ein halb verfallenes Hinweisschild auftauchen, das uns zur Kapelle führte.
Das Schild sahen wir zur gleichen Zeit. Es hatte schwer gelitten. Nicht nur, dass eine Schneehaube auf ihm lag, der Hinweis oder Text auf dem Holz war nicht mehr zu lesen.
Aber es gab den Weg, der kurz hinter dem Schild in den Wald führte.
»Das ist es!«, flüsterte Karina. Sie bog ab und der glatte Belag unter unseren Reifen verschwand.
Der Weg war nicht nur schmal, sondern auch holprig. Hinzu kam der Schnee, der von unseren Reifen aufgewirbelt wurde. Noch standen die Bäume nicht so dicht beisammen, was sich bald änderte, denn da wuchsen sie dichter.
Wir befanden uns in einem Wald. Es gab nur kleine Lücken zwischen den Bäumen. Für die Schneeflocken kein Problem. Sie hatten ihren Weg gefunden und bedeckten jeden Fleck. Auch auf dem Geäst lag der Schnee. Durch den Frost klebte er dort regelrecht fest.
Dass es die richtige Strecke war, die wir fuhren, sahen wir, wenn wir einen Blick nach vorn warfen. Da hatten Reifen deutliche Spuren in den Schnee gefressen. Wir brauchten ihnen nur zu folgen, um das Ziel zu erreichen.
Ich fragte Karina: »Wie weit sollen wir fahren?«
»Wie meinst du das?«
»Nun ja, es gäbe auch die Möglichkeit, den Wagen nahe der Kapelle in einer guten Deckung stehen zu lassen, um sich dann zu Fuß auf den Weg zu machen.«
Karina bremste nicht. Sie fuhr allerdings langsamer, dachte dabei nach und warf mir einen Blick zu, wobei sie nickte.
»Die Idee ist nicht schlecht.«
»Dann sollten wir es tun.«
»Ich frage mich nur, wie lange wir noch fahren müssen, um die Kapelle zu erreichen. Die Strecke ist kurvig, und ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch sehr weit ist. Wer immer in dieser Kapelle seine Rituale abgehalten hat, er wollte bestimmt nicht zu lange laufen.«
»Das kann sein.«
»Dann glaube ich, dass wir bald da sind.«
Es war schwer, etwas schon im Voraus zu erkennen. Die Bäume standen einfach zu dicht beisammen. Da gab es kaum einen freien Blick, und so mussten wir uns schon auf unser Glück verlassen.
Dann ging alles schnell.
Karina bremste mitten in einer Kurve ab. Sie hatte das gesehen, was auch mir in der letzten Sekunde aufgefallen war. Eine Mischung zwischen Lieferwagen und Kombi stand auf dem Weg und versperrte uns die Weiterfahrt.
Karina tat das einzig Richtige in dieser Lage. Sie legte den Rückwärtsgang ein, und so rollten wir einige Meter zurück, bis wir von dem anderen Fahrzeug aus nicht mehr zu sehen waren.
Das Geräusch
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