1717 - Die Fratze der Angst
mehr. Er erreichte wenige Sekunden später den schmalen Weg, der an der Seite der Kirche entlang zum Friedhof führte und ihm zudem einen Blick über das Gräberfeld erlaubte.
So weit musste er gar nicht schauen. Kurz nachdem er um die Ecke gelaufen war, sah er, was dort los war. Seine Augen weiteten sich. Er konnte es nicht fassen, denn er sah nicht nur den am Rand des Friedhofs am Boden liegenden Pfarrer, sondern eine Gestalt, die keinen Fetzen am Leib trug und sich über den Kirchenmann gebeugt hatte.
Er dachte in diesen Augenblicken der Entdeckung gar nichts. Erst nach wenigen Schritten wehte ihm der eklige Gestank ins Gesicht. Ja, das war der Geruch von Verwesung, sogar mit einem süßlichen Hauch unterlegt.
Jetzt dachte er daran, weshalb seine Mutter ihn geholt hatte. Bisher hatte er es für Spinnerei gehalten, das stimmte nicht mehr, es war eine Tatsache, und die machte ihn für einen Moment so irre, dass er einen Stein übersah, der ihm im Weg lag.
Prantl stieß dagegen, stolperte über ihn, wäre fast gefallen und schaffte es gerade noch, sich an der nahen Kirchenwand abzustützen. Erst dann hatte er wirklich freie Bahn und hetzte auf das Geschehen zu.
Alles spielte sich in Sekunden ab, doch er hatte das Gefühl, als würde sich die Zeit dehnen. Er bekam alles genau mit, es wurde ihm regelrecht präsentiert, und er sah jetzt, dass der Pfarrer mit dem Rücken auf einem Grab lag, auf das er gedrückt worden war.
Über ihm hockte die Gestalt. Auch wenn Prantl nur den Rücken sah, war der Körper hässlich. Eine braune Haut, auf der sich Narben und Löcher zeigten. Da musste man schon einen Ekel bekommen, wenn man sie berührte.
Das wollte Georg Prantl auf seine Art und Weise tun. Bevor er die Gestalt erreichte, holte er mit dem rechten Bein aus. Die Schreie des Pfarrers waren in ein Wimmern übergegangen, und dann traf Prantls Tritt nicht nur den Rücken des Monstrums, sondern auch noch dessen linke Seite.
Die Gestalt flog zur Seite. Sie musste sich von ihrem Opfer lösen, und Prantl, der sich gefangen hatte, warf einen Blick auf diesen Widerling, dessen Hände blutig waren, ebenso wie dessen Maul.
Sofort war die hässliche Gestalt wieder auf den Beinen, warf sich herum und hetzte davon.
Prantl wusste nicht, wer diese Gestalt war. Er hätte sie gern verfolgt, aber er musste sich erst um den Pfarrer kümmern, der auf dem Grab lag und verletzt, aber nicht bewusstlos war. Er jammerte, er zuckte unter den Schmerzen, und Prantl bekam große Augen, als er die Wunde an der rechten Schulter des Mannes sah. Dort war die Kleidung so zerfetzt, dass sich diese wirklich tiefe Wunde abmalte, bei der Haut und auch Fleisch fehlten. Das Monster musste wie ein Irrer zugebissen haben.
Prantl sah auch Blut im Gesicht des Pfarrers. Neben dem Kinn befand sich eine zweite Wunde. Der Pfarrer musste unter wahnsinnigen Schmerzen leiden, aber zugleich noch unter einem Schock, das sah der Polizist in den Augen des Mannes.
»Es wird Ihnen geholfen«, flüsterte er. »Sie müssen keine Angst haben …«
Mehr konnte Prantl nicht für ihn tun. Er wusste aber, dass sich unter den Kirchgängern auch ein Arzt befunden hatte. Der war jetzt am wichtigsten.
Georg Prantl fuhr herum. Er schaute den Weg zurück, den er gekommen war. Er war nicht mehr menschenleer. Einige Leute hatten sich getraut, näher zu kommen, und es war auch der Arzt unter ihnen.
»Kommen Sie, Doktor, schnell! Das müssen Sie sich anschauen.«
Der Arzt war ein noch junger Mann und erst seit einem Jahr im Ort. Er wusste, was er zu tun hatte. So schnell wie möglich rannte er näher. Der Geheimdienstmann trat zur Seite, um dem Arzt Platz zu machen.
Er konnte jetzt nichts mehr tun, nicht für den Pfarrer. Er dachte immer an das Monstrum, das den Pfarrer überfallen hatte, aber das war verschwunden. Der Friedhof war begrenzt. Er hätte ihn längst hinter sich lassen können, und das war wohl auch der Fall. Aber er wollte sicher sein und das war nicht von seinem Standplatz aus möglich.
Er lief quer über den Friedhof, huschte an höheren Grabsteinen vorbei oder übersprang die schmaleren Gräber einfach. Dann erreichte er die Mauer, die einen weißen Anstrich hatte.
Nein, der Killer war nicht mehr zu sehen. Die Straße, die unterhalb der Mauer entlang lief, war leer. Abgesehen von zwei parkenden Autos.
Trotzdem hatte das Monstrum diesen Weg genommen. Es war über die Mauer geklettert, denn nicht weit von ihm entfernt klebten rote Blutspuren am Gestein. Das
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