172 - Der Erzdämon schlägt zu
nichts hatte unternehmen können, hatte sie keine Kraft verbraucht, sondern sich nur erholt.
Sie war also wieder stark, als sie den Kerker verließ. Sie konnte es schon einige Zeit im Zustand des schnelleren Zeitablaufs aushalten. Und je länger sie durchhielt, desto schneller war sie mit ihrer Erkundungsexpedition fertig. Es sei denn, sie sparte Kräfte, um sich nicht zu früh zu verausgaben. Aber dennoch war Dorian sicher, daß Coco für ihre Unternehmung kaum länger als fünfzehn oder zwanzig Minuten Realzeit brauchen würde.
Aber nach einer halben Stunde war sie immer noch nicht zurück.
Da begann er unruhig zu werden. Etwas mußte schiefgegangen sein.
Macaya tastete sich in Bereiche der Festung vor, die sie normalerweise nur in besonderem Auftrag zu betreten wagte. Nun, ein besonderer Auftrag war es gewissermaßen auch. Das Indiomädchen sah sich immer wieder um, konnte aber keinen heimlichen Beobachter entdecken. Daß einer ihrer Stammesgefährten, nach wie vor willenlos den Befehlen der Dämonen unterworfen, sie verfolgte, bemerkte sie nicht.
Hier, in den Wohnbereichen, wirkte die Festung schon weitaus freundlicher als in den schlecht ausgebauten, aber gut abgesicherten Gefangenenbereichen. Dennoch war auch hier die bedrückende Aura allgegenwärtig, die auf die Dämonen hinwies. Macaya glaubte sich in einem Alptraum zu befinden. Ein Alptraum, der erst ein Ende nehmen würde, wenn sie wieder daheim - oder tot war. Hier gab es keine Fackeln an den Wänden, hier gab es elektrisches Licht. Auf die Annehmlichkeiten der menschlichen Zivilisation wollten auch die nichtmenschlichen Dämonen nicht verzichten. Macaya wußte in etwa, wo sie Don Hermanos Unterkunft finden würde. Dort wurden höchstgestellte Gäste untergebracht, und zu denen gehörte der Herr von Südamerika. Auch wenn er hier das Kommando übernommen hatte, würde er es nicht riskieren, die privaten Gemächer Fernandos zu benutzen. Don Hermano regierte also vom Gästeflügel des mächtigen Bauwerks aus.
Geräuschlos öffnete Macaya nacheinander einige Türen. Die meisten Zimmer waren noch leer. Hinter einer Tür vernahm sie Stimmen; aber Don Hermanos Stimme gehörte nicht dazu. Die hatte sie in der kurzen Zeit, in der der Patriarch hier weilte, nur zu gut kennen- und fürchtengelernt. Macaya huschte weiter. Sie glaubte, ihr Herzschlag müsse durch die gesamte Festung zu hören sein.
Angst vor der Entdeckung - Angst vor der Katastrophe - und Elia Gereon war fern. Würde er sie wirklich schützen können? Wahrscheinlich nicht, daran hatte er keine Zweifel gelassen.
Wieder eine Tür.
Macaya öffnete sie vorsichtig.
Sie sah die winzigen und bizarren Zeichen am Holz, von denen ein Hauch des absolut Bösen ausging. Magische Siegel? Wahrscheinlich. Aber auf Macaya hatten sie keinen Einfluß. Sie sollten nur andere Dämonen am Betreten dieser Gemächer hindern.
Das erste der Zimmer war leer. Macaya schloß die Tür vorsichtig hinter sich. Sie sah sich um und lauschte. Keine Geräusche! Auch in den angrenzenden Zimmern schien sich niemand aufzuhalten. Dennoch war da der Gestank des Bösen, der ihre Gedanken lähmen wollte.
Das Grauen tastete schleichend nach ihr.
Plötzlich schien das gesamte Zimmer zu leben. Die Vorhänge an den Fenstern wurden zu Krakenarmen, Tische und Stühle zu wölfischen Ungeheuern und gigantischen Spinnen, Schränke zu grinsenden Kolossen. Die Teppiche bestanden aus unzähligen zuckenden Greiffäden, die das Mädchen festhalten wollten.
Das Indio-Mädchen stöhnte leise auf.
Plötzlich sah Macaya einen flachen Reisekoffer, wie sie ihn früher bei Touristen gesehen hatte. Und so hatte Elia Gereon ihn auch beschrieben. Sollten darin die gesuchten Waffen der Gefangenen sein?
Vor dem Koffer kniete Macaya nieder, versuchte, ihn zu öffnen. Für Sekunden waren Angst und Grauen vergessen.
Da rollte sich hinter ihr der Teppich blitzschnell hoch und stülpte sich über sie, hüllte sie ein und preßte sie zusammen. Sie schrie, wollte um sich schlagen und konnte es nicht. Sie war von dem Teppich gefangen, dessen Nesselfäden auf ihrer Haut brannten!
Sie vernahm ein dröhnendes, höhnisches Triumphgelächter, welches das ganze Universum zu erfüllen schien.
Nur langsam und zögernd gab der Teppich Macaya wieder frei.
Sie sah einen großen, breitschultrigen Mann vor sich stehen, mit kantigem, harten Gesicht, weißen Haaren und gnadenlos flammenden Augen. Er war unsagbar böse und mächtig, und Macaya glaubte unter seinem Blick
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