172 - Der Sturm
versperrte, und erschrak. Da war kein diesiges Grau mehr. Da waren riesige, tief dunkle Wolken, die zügig heran flogen.
Grao'sil'aana nahm ihn in Empfang. Die Seeleute hatten sich in einer schützenden Ecke zusammen gedrängt, dort landete auch Daa'tan. Es war ihm peinlich, dass der Daa'mure ihn auf seinen Schoß zog und umklammerte, aber was sollte er machen? Grao'sil'aana war stärker als er. Dann kam der Sturm.
Unmengen von Sand fauchten durch Türen und Fenster. Ein Heulen erfüllte die Luft, das sich mit dem Donnern der Brandung vermischte und derart anschwoll, dass kein Platz mehr blieb für andere Geräusche.
Schatten zischten wie Pfeile über das zerstörte Dach. Ein paar davon fielen herunter, und Daa'tan verzog das Gesicht: Er hätte sich mit den kleinen Bäumen gar nicht abplagen müssen. Der Sturm trug jetzt die ganze Ladung heran!
Allerdings nicht nur sie. Ein Fass knallte an die Hüttenwand und zerbrach. Ihm folgte schweres Gehölz, dann schoss eine Kiste ins Fenster. Sie blieb stecken.
Daa'tan war jedes Mal heftig zusammengezuckt, gegen seinen Willen. Ravi Shan hatte es bemerkt und strich ihm tröstend übers Haar, als wäre er ein Kleinkind. Wie peinlich! Am liebsten hätte er den Mann gebissen!
Daa'tan stöhnte innerlich, als dann noch Grao'sil'aana seinen Kommentar dazu gab. Der vermittelte seine aufmunternden Worte zwar nur mental – Sol'daa'muran sei Dank! –, aber auch das war peinlich. Daa'tan war zwölf Jahre alt, zumindest äußerlich, und wollte gefälligst wie ein Mann behandelt werden. Ohne blödes Gehätschel.
Regentropfen klatschten auf den Sand am Hüttenboden. Erst vereinzelt, dann in Strömen. Pfützen bildeten sich, aus denen das Wasser unkontrolliert in die Höhe sprang. Es landete an Daa'tans nackten Beinen und beklebte sie mit Sand. Der Junge schnaubte.
(Wir sollten in den Wald ziehen, Grao!) (Keine Sorge, wir sind hier sicher.)
(Es geht mir nicht um Sicherheit! Ich will raus aus diesem Loch! Ich will was erleben! Wir könnten doch durch den Wald Richtung Süden wandern, einen Hafen suchen und nach Bono segeln.)
Grao'sil'aana musterte seinen Schützling kühl. (Wir werden Richtung Süden wandern. Allerdings am Strand entlang, dem Gesetz der Logik folgend. Im Wald gibt es keine Häfen, das müsstest du wissen. Besonders, wenn du wie ein Mann behandelt werden willst.)
Daa'tan errötete. Der Daa'mure hatte ihn belauscht!
Die Hüttenwand bebte, als der Sturm weiter zunahm und eine heftige Böe sie traf. Gischt fiel mit dem Regen zu Boden, unheimliche Geräusche heulten heran. Daa'tan entschied, dass es für den Moment akzeptabel war; wenn Grao'sil'aana ihn in den Armen hielt. Das Erwachsen werden konnte man auch auf Morgen verschieben.
Urplötzlich landete etwas auf dem Dach, und der Regen hörte auf. Daa'tans Augen wurden groß. Der Sturm hatte die Riesenqualle vom Strand gefegt und punktgenau über die Hütte geworfen. Da lag sie nun, fahl und tot, mit baumelnden Tentakeln. Tropfen prasselten auf sie herab. Es stank nach Fisch.
Ravi Shan blickte zu der unerwarteten Dachabdeckung hoch, die das Heulen von draußen so angenehm dämpfte. Sie hing in der Mitte durch. Wasser sammelte sich an.
»So was ist nicht normal.« Der Seemann rieb sich das Kinn. »Diese Viecher gehören ins Meer, nicht aufs Dach! Das könnte eine Warnung der Götter sein! Vielleicht wäre es besser, von hier zu verschwinden.«
»Siehst du: Er sagt es auch!« Daa'tan nickte Grao'sil'aana triumphierend zu. Der Daa'mure schüttelte den Kopf. »Solange es draußen stürmt, dass selbst riesige Tiere weggeweht werden, setzen wir keinen Fuß vor die Hütte!«
»Der Sturm kann lange anhalten! Und der Regen nimmt auch immer weiter zu!«, gab Ravi Shan zu bedenken und wandte sich an seine Kameraden. Die Männer waren uneins. Manche hielten es für ratsam, den Strand zu verlassen, um einer eventuellen Flutwelle zu entgehen. Andere stimmten Grao Sahib zu.
Daa'tan hatte auch etwas zu sagen. Er zupfte mehrfach an Grao'sil'aanas Ärmel, um Beachtung zu finden. Doch der Daa'mure war in eine hitzige Diskussion mit den anderen Männern verwickelt und hatte keine Zeit.
Unwirsch schob er die Hand des Jungen weg. So blieb Daa'tan nichts übrig, als sich möglichst eng an die Wand zu setzen, seine Beine anzuziehen und den Lauf des Unheils interessiert zu verfolgen.
Der Regen prasselte weiter auf die Riesenqualle. In ihrer Mitte wuchs ein Wassersack an, fahl und dick. Er schwankte jedes Mal, wenn der Quallenkörper
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