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172 - Der Sturm

172 - Der Sturm

Titel: 172 - Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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Grün, an Yngves Schulter und mit einer Hand auf seiner Brust. Er schlief.
    Aruula verzog den Mund: Eigentlich hätte der Krieger Wache halten sollen! Sie musterte sein Gesicht. Es war gezeichnet vom gestrigen Überlebenskampf, voller Schrammen und Blutergüsse. Wenigstens schien die Verletzung an Yngves Schläfe gut zu heilen, die ihm der Sturz auf die Klippen zugefügt hatte.
    Im Schlaf fuhr sich der blonde Krieger über die Stirn, und Aruula nickte unbewusst. Er hatte gute, starke Hände! Yngve war kein schöner Mann; auf der rechten Wange hatte eine Klinge ihre Spur hinterlassen, und um den Mund waren tiefe Falten eingegraben. Doch wenn er lächelte… Aruula überlief es heiß, als sie merkte, dass ihre Finger über seine Brust streichelten. Hastig zog sie sie fort.
    Er ist ein Fremder, dachte sie, wütend auf sich selbst, und verbesserte sich. Schön, er ist kein Fremder, er ist ein Freund. Aber auch die berührt man nicht! Maddrax wäre gekränkt, wenn er davon wüsste!
    Aruula seufzte. Was, wenn Maddrax nie zu ihr zurückkehrte, genau wie Yngves verschollene Frau und Tochter nicht zurückkehrten. Welchen Zweck hatte dann die Suche nach dem brennenden Felsen? Ein Gedanke huschte der Barbarin durch den Kopf. Vielleicht ruft er uns gar nicht, damit wir unsere Toten wieder finden – sondern unseren Frieden!
    Aruula hielt inne. Yngves Blick ruhte auf ihr. Sie fühlte sich ertappt.
    »Hast du etwa gelauscht?«, raunzte sie ihn an.
    Yngves Lächeln verschwand. »Natürlich nicht!« Er richtete sich auf, wischte die Blätter von seinen Armen und sagte beleidigt: »Es ist unehrenhaft, Freunde auszuspionieren! So denken jedenfalls die Lauscher meines Volkes.«
    Errötend schoss Aruula hoch. »Was soll das heißen? Glaubst du vielleicht, wir vom Volk der Dreizehn Inseln würden…« Weiter kam sie nicht. Da war ein kurzes, unheilvolles Sirren. Es endete mit einem Pfeil in den Blätterpilzen am Eingang.
    Aruula und Yngve sprangen in Deckung, er Richtung Cockpit und sie zur anderen Seite. Geduckt lief die Barbarin zu einem der Fenster, spähte hinaus und machte gleich wieder kehrt, um Yngve zu berichten. Der streckte ihr abwehrend eine Hand entgegen.
    »Bleib zurück!«, warnte er. »Der Pfeil muss mit etwas getränkt sein! Er tötet die Pilze! Ich kann sehen, wie sie schwarz werden und sterben.«
    »Meerdu!«, fluchte die Barbarin. Draußen vor dem Flugzeug standen bewaffnete Männer! Sie blockierten den einzigen Fluchtweg. Aruula und Yngve saßen in der Falle.
    ***
    Anh war verstört. Der kleine braunhäutige Waldmensch stand vor dem klaffenden Loch in der Außenwand der Boeing und wusste nicht weiter. Er hatte seinen Clan zu dem
    Ding
    geführt, um Opfergaben vor das dunkle, aufgerissene Maul zu legen – in der dumpfen Hoffnung, dass der Sturm dann enden würde. Aber jemand hatte sich eingemischt! Jemand war in das
    Ding
    gekrochen, das sah man an dem Nest aus schlaffen Zweigen und Blättern, das ins Freie ragte.
    Anh und seine Leute waren Ongkas – Wilde aus Malaya. Sie hatten sich übers Meer nach Meelay gerettet, als der Feind in ihrer Heimat zu mächtig wurde. Die Ongkas hausten im Mangrovenwald, ernährten sich von ihm und richteten ihr Weltbild an ihm aus: Was sich zuordnen ließ, war irdisch. Alles andere wurde Ding genannt und mit vagen Hoffnungsfantasien belegt.
    Namentliche Götter kannten sie nicht.
    Die alte Boeing mit ihrem Pilzmantel hatte sich im Sturm der letzten Nacht nicht von der Stelle gerührt.
    Also, folgerten die Ongkas, war das Ding stärker als der Wind, und deshalb durfte man auf keinen Fall zulassen, dass es unter fremden Einfluss geriet. Wie richtig diese Annahme war, hatte sich soeben gezeigt: Nur ein einziger Giftpfeil aus einer ganzen Salve war ans Ziel gelangt. Den Rest hatten erneut aufkommende Böen vom Kurs geweht.
    Anh legte den Kopf schief. Wer verbarg sich in dem Ding? Die Fischer vom Strand konnten es nicht sein. Sie blieben dem Mangrovenwald fern, seit die Ongkas eine Bootsbesatzung in den Wasserstraßen getötet hatten.
    Jemand tippte Anh auf die Schulter, und er drehte sich um. Koo, sein bester Jäger, stand neben ihm. Er zeigte auf das Ding und sagte: »Wir können den Feind nur belagern, solange der Wind es zulässt. Wird es zu stürmisch, müssen wir wieder in Deckung gehen. Was hältst du davon, wenn wir den Fischfänger holen?«
    Anh runzelte die Stirn. Sein Clan lebte inmitten der Wasserstraßen mit ihrer reichen Fauna. Doch es war nicht ungefährlich, in die Wellen zu

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