1722 - Flucht in die Finsternis
sollten, und kann mir vorstellen, dass sie nicht sehr weit gelaufen sind.«
»Das denke ich auch …«
***
Suzie Katanga hatte gesehen, wie Mona das Messer hervorgeholt hatte.
Sie starrte auf die Klinge, die nicht sehr breit, dafür aber lang und spitz war. Sogar der Griff bestand aus Metall. Sie wollte etwas sagen. Erklären, wie lächerlich sie es fand, aber da schaute sie in die Augen der Frau, und sie wusste, dass ihr Besuch kein Scherz und das Messer kein Traum war.
»Alles klar?«, flüsterte Mona.
»Wie – wieso?« Das Blut stieg Suzie in den Kopf. Sie hörte es sogar rauschen.
»Ich sagte dir doch schon, dass ich dein Blut will. Ich muss es haben, verstehst du? Es macht mich satt and stark. Du hast Glück, auf mich getroffen zu sein, auf eine noch nicht ganz fertige Person. Wäre ich fertig, dann hätte ich dir meine Zähne in den Hals geschlagen und dich leer gesaugt. So aber kannst du einen Teil deines Blutes behalten. Den Rest hole ich mir …«
Das war ein Versprechen, und Suzie wusste, dass ihre Besucherin nicht bluffte, sie meinte es bitterernst.
Beim Eintreten hatte sie die Tür kurz angestoßen, sodass sie ins Schloss gefallen war. Jetzt gab es nur die beiden so unterschiedlichen Frauen. Hilfe wäre zwar nicht weit entfernt gewesen, aber so schnell kam niemand heran.
Ich muss schreien!
Das war die innere Stimme, die Suzie antrieb. Sie wollte es auch tun, sie riss bereits den Mund auf, aber ein Zischlaut störte ihr Vorhaben.
»Wenn du schreist, stoße ich dir das Messer in den Hals. Dann bist du tot. Und während du stirbst, werde ich dein Blut schlucken, das aus der Wunde strömt.«
Es war eine finstere Drohung, und Suzie wusste, dass sie nicht nur so dahergesagt war.
Sie sah sich selbst als eine recht starke Frau an. Aber nicht, wenn es um körperliche Gewalt ging. Da musste sie passen. Und sie fühlte sich auch nicht stark genug, um gegen die Person anzugehen. Sie war bewaffnet. Sie war jemand, die kein Gewissen hatte und eiskalt handelte, um an ihre Nahrung zu gelangen.
Die Vorfreude war ihr anzusehen. Davon zeugte nicht nur das Glitzern in ihren Augen, sie ließ auch ihre Zunge sehen, deren Spitze ihre Lippen umleckte.
An eine Flucht war nicht zu denken. Nach vorn laufen war nicht möglich, da versperrte Mona ihr den Weg. Und nach hinten konnte Suzie auch nicht fliehen, denn dort befand sich die Wand und auch das Fenster, das geschlossen war.
Mona ließ einen Pfiff hören. Dann bewegte sie ihre Hand mit dem Messer kreisförmig, als suchte sie sich eine besondere Stelle am Körper der Frau aus.
»Es tut nur im ersten Moment weh, danach hat man sich daran gewöhnt.« Es war schon pervers, so etwas zu sagen, und sie kam wieder einen Schritt auf Suzie zu. Jetzt befand sie sich in Stichweite vor ihr.
Dann zuckte die Hand vor.
Aber es war nicht die mit dem Messer, sondern die linke Faust, die sich in Suzies Magengrube bohrte, sodass sie keine Luft mehr bekam und nach vorn kippte, wobei sie zugleich in die Knie ging.
Genau das hatte Mona gewollt. Sie fasste zu und zerrte ihr Opfer wieder hoch.
»Jetzt!«, sagte sie und stieß zu …
***
Suzie Katanga glaubte, von einem glühenden Stück Eisen in der linken Schulter durchbohrt zu werden. Es war so grauenvoll, dass sie es kaum fassen konnte. Ihre Knie gaben nach. Vor ihren Augen bewegten sich farbige Kreise.
Trotzdem schaffte sie es, den Kopf zu drehen, und sie sah, dass die Klinge in ihrer linken Schulter steckte, umgeben von einem roten Kranz aus Blut.
Es reichte Mona.
Sie zerrte die Klinge wieder hervor. Sie wollte die Wunde, und erst jetzt überfiel Suzie Katanga dieser wahnsinnige Schmerz, den sie nie zuvor in ihrem Leben durchlitten hatte. Mona interessierte das nicht, denn sie wollte nur das Blut, das jetzt aus der Wunde strömte.
Das Messer warf sie weg, weil sie beide Hände frei haben wollte, um Suzie Katanga gegen die Wand zu pressen. Sie drückte ihren Mund gegen die Wunde und fing an zu trinken, während sich aus Suzies Mund ein jammernder Schrei löste …
***
Jean Katanga kannte die im Unterrock nicht. Zumindest hatte er sie hier im Haus noch nicht gesehen. Vom Alter her hatte sie die Mitte des Lebens erreicht. Sie war recht füllig, und mit dem verheulten Gesicht sah sie aus wie ein weiblicher Clown, bei dem die Schminke verlaufen war.
Es war egal, wo Alf diese Frau aufgegabelt hatte. Sie war ein Mensch, und einem Menschen musste geholfen werden.
Jean sah, dass auf der Rückseite der Tür ein blaugrauer
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