172,3 (German Edition)
behagliche Temperatur zu heizen. Viktor hatte eine Tasse heißen Erdbeer-Vanille-Tee vor sich stehen. Beate hielt ihre Tasse in den Händen und nippte gelegentlich daran. Zahlreiche Fragen tummelten sich chaotisch in Viktors Kopf, er fühlte sich noch immer benebelt und trotz der vielen Fragen leer.
»Es ist ein europäischer Dämon«, unterbrach Beate mit leiser Stimme, fast flüsternd die Stille. Viktor sah auf. Bei jeder Bewegung spannte sich seine Haut wie nach einem Sonnenbrand.
»Ein alter, europäischer Dämon und er muss sehr mächtig sein«, sagte sie bedächtig und nickte ihm zu. Viktor fühlte sich matt. Es war nicht leicht zu verkraften, wenn die eigenen Wertvorstellungen, die eigenen Konzepte zur Realität – und ja, auch Wahrheit – innerhalb einer halben Stunde durch ein Ereignis zusammenbrachen. Zwar keimten immer noch Zweifel auf, manifestierten sich in bohrenden Fragen, aber letztlich meinte er, hinreichende Beweise für die Existenz übersinnlichen Lebens geliefert bekommen zu haben – die Existenz von Dämonen und bösen Geistern.
»Ja?«, fragte er schwach nach.
Beate nickte und stellte die Tasse auf den Tisch.
»Ja. Ich kann ihn nur noch nicht einordnen. Vielleicht ist er ein vorchristlicher Geist? Es spricht einiges dafür. Andererseits, ich weiß nicht … hast du auch die Fliegen gesehen, Viktor?«
Er nickte und eine Erinnerung tauchte wie ein Ertrinkender auf.
»Die Fliegen! Genau! Ich habe mich schon mehrmals über lästige Fliegen zu dieser Jahreszeit geärgert. In der Schule, Zuhause … was weiß ich wo.«
»Hm«, antwortete sie nachdenklich und betrachtete ihre Figuren auf der Suche nach einer Inspiration.
»Was?«, fragte Viktor, als er erkannte, dass es nicht nur Nachdenklichkeit, sondern auch Angst war, die Beate schweigen ließ. Sie atmete hörbar aus und beugte sich vor.
»Ich rufe im ersten Versuch viele Mindergeister an. Ich nenne sie nicht beim Namen. Sie kommen schnell, sie wollen nicht viel und sind durch kleine Opfergaben herbeizulocken. Je mächtiger ein Dämon ist, desto schwieriger ist es, ihn zu locken.« Gedankenverloren sah sie an die Decke. »Aber auch, ihn wieder loszuwerden«, ergänzte sie und sah Viktor an.
»Das heißt, das war kein Mindergeist, sondern ein …«
»Genau. Ein sehr mächtiger Geist, der aber schon hier war, Viktor. Du hast ihn, wie auch immer, schon vorher beschworen. Ihm etwas angeboten, bist einen Pakt mit ihm eingegangen.«
Beide sahen sich fragend an. Viktor konnte sich an keine Gegebenheit erinnern, die er, wenn auch unwissentlich, mit dämonischen Kräften verbracht haben sollte. Er unterstellte, dass er, so wie heute, das Böse hätte spüren müssen, und an ein gleichartiges Gefühl konnte er sich nicht erinnern.
»Nichts, Beate.«
Er schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern.
»Schade«, entgegnete sie und überlegte sich ihre nächsten Worte sorgfältig. »Es könnte auch sein, dass es ein sehr mächtiger Dämon ist. Vielleicht. Vielleicht ist er aber auch nur sehr alt und mir unbekannt. Fliegen …«, wieder sah sie zur Decke, als ob sie dort einen Text lesen könnte, »… sind ein Merkmal des Herrn der Fliegen, eines mächtigen Dämons, den ich hier vorhin auch gerufen habe.«
Viktor öffnete den Mund, weil er eine Idee hatte, wen sie meinen konnte.
»Nein! Sprich seinen Namen jetzt nicht aus. Wahrscheinlich weißt du, von wem ich rede. Man soll den einen nicht mit dem anderen austreiben?«
Viktor nickte. Er verstand den verschlüsselten Hinweis.
»Genau«, fuhr sie fort. »Es ist sein alter hebräischer Name, er steht für viele Abscheulichkeiten und sehr weit oben in der Hierarchie der Dämonenfürsten, wenn ich es mal so nennen darf. Solltest du IHN herausgefordert haben, bist du in sehr, sehr großer Gefahr, denn er wendet sich immer gegen die, die ihn gerufen haben. Du musst herausfinden, was du verlangt hast, welchen Handel ihr eingegangen seid.«
»Aber … ich weiß es doch nicht!«, hielt Viktor verzweifelt dagegen.
»Dann besinne dich. Etwas, das dir am Herzen liegt, ein dunkles Geheimnis, ein Wunsch, für dessen Erfüllung du zu einigem bereit wärst. Ein Wunsch, von dem niemand wissen darf, den du aber geäußert hast. Ein sexueller Wunsch vielleicht, ein Todeswunsch? Der Dämon wollte Blut, Viktor. Ich vermute, dass auch Blut geflossen ist, als ihr den Pakt besiegelt habt.«
Viktor war bar jeder Idee, kraftlos saß er in seinem Stuhl und zog die Augenbrauen hoch.
»Ich weiß es nicht, Beate. Wirklich nicht, es
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