172,3 (German Edition)
der Ferne hörte sie vereinzelt Motoren und aus der Nähe Davids Schritte, wie er stehenblieb und kurz vor Erleichterung stöhnte. Komisch, dass ihm das nicht peinlich war. Ihr wäre es unangenehm, wenn ihr Freund, also David, sie beim Pinkeln belauschen würde oder sogar zusehen könnte. David ließ bei sich Zuhause, wenn sie alleine waren, auch immer die Toilettentür aufstehen. Manchmal erinnerte er sie an einen jungen Hund, ausgestattet mit einer großen Neugier und wenig Bedenken. Sie schmunzelte in sich hinein.
»David?«
…
»David?!«
Sie lauschte, ängstigte und ärgerte sich zugleich. Wo war der Typ? Angst überkam sie.
»DAVID?!«
Plötzlich legte sich eine eiskalte Hand auf ihren Mund und Panik übermannte sie. Sie schlug um sich, drehte sich herum, versuchte zu schreien, zu beißen. Die eiskalte Hand entfernte sich.
»BUH!«, sagte David und lachte.
Daniela befand sich in Rage.
»Du Vollidiot! Ich finde das überhaupt nicht witzig! Du …« Ihr fehlten die Worte, sie war den Tränen nahe vor Wut. »Weißt du eigentlich, dass hier Kinder verschwunden sind? In diesem Wald?«
David grinste. »Das sind doch nur Schauermärchen, Dani. Aber tut mir leid, ich hätte dich nicht so erschrecken dürfen. Sorry.«
Er sah sie mit großen Augen an und seiner Miene war abzulesen, dass es ihm aufrichtig leid tat. Verdammt, dass musste er erst mal wieder gut machen. Schmollend radelte sie los, ohne Licht.
»Hey, warte, du kannst doch gar nichts sehen.«
Er schwang sich auf den Sattel und überholte sie. Daniela leckte sich über die Lippen und wunderte sich über das Salz, das sie schmeckte, ehe sie sich davor ekelte. Wie ein Hund , dachte sie.
*
Larissa schob den Medikamentenwagen vor das letzte Zimmer. Herr Brajak hatte seine Medikamente abgeholt, Herr Yilmaz war nicht erschienen. Sie verschnaufte kurz auf dem Gang. Kai eilte mit Bettwäsche an ihr vorbei.
»Nicht mehr lang«, rief er ihr aufmunternd im Vorbeigehen zu. Sie verdrehte die Augen.
»Machen wir den Essenswagen?«, fragte sie hinterher.
»Machen wir.«
Sie lauschte kurz an der Tür. Stille. Sie hoffte auf wenig Stress. Die Medikamentenausgabe drohte heute Abend kurz zu eskalieren, als Frau Hauser ihren Blick nach oben wandte und mit dem Fuß aufstampfte. Ein sicheres Anzeichen für einen drohenden Anfall. Aber zu zweit hatten sie sie beruhigen können. So war das eben. Nach ihrer Meinung waren die empathischen Antennen ihrer Psychose-Patienten – und die stellten auf Station 5 die Mehrheit – wesentlich empfänglicher, als die gesunder Menschen; auch wenn sie häufig falsche Signale empfingen.
Larissa klopfte an und wartete. Keine Antwort. Sie öffnete die Tür.
Herr Yilmaz ging in seinem Doppelzimmer mit hinter dem Rücken verschränkten Händen auf und ab. Verkniffen und in sich gekehrt nickte er ihr zu. Er war kleiner und zierlicher als sie, dennoch stand Bedrohliches in seiner Anamnese. Er hatte seinem Vater und seinem Bruder jeweils ein Ohr abgeschnitten und sah und hörte Dämonen, die ihm Befehle erteilten. Augenblicklich stand er seinen Dämonen offensichtlich sehr nahe.
»Guten Abend, Herr Yilmaz. Es wird Zeit für ihre Medikamente.«
Er sah auf und ging weiter. Seine Stirn glänzte in der milchigen Deckenbeleuchtung. Larissa hörte, dass er leise vor sich hin redete. Sie sah sicherheitshalber auf die Verordnung und stellte sein Tablettenensemble zusammen.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte sie aufrichtig, sich der verschiedenen Relationen des Sich-gut-Fühlens durchaus bewusst. Sie schüttete Mineralwasser in einen Becher. Eine Aufgabe bei der Medikamentenvergabe war die Kontrolle. Normalerweise schluckte Herr Yilmaz die ärztlich verordneten Pharmazeutika anstandslos, aber heute war alles möglich. Sie reichte ihm den Becher, die Macht der Gewohnheit ließ ihn näher kommen. Die Tabletten nahm er nicht, stattdessen sah er sie aus traurigen und ängstlichen Augen an.
»Erinnern Sie sich noch, wie ich Sie umbringen wollte?«
Innerlich zuckte Larissa zusammen, ließ sich nichts anmerken und verneinte. Tatsächlich konnte sie sich nicht daran erinnern. Herr Yilmaz überlegte.
»Ha«, stieß er als Ausdruck der Überraschung aus und neigte fragend den Kopf.
»Ihre Medikamente, Herr Yilmaz.«
Er reagierte nicht.
»Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich das damals …«
Er zitterte plötzlich, sah mit schreckgeweiteten Augen an ihr vorbei – hinter sie. Larissa erschauerte. Aus einem Impuls wollte sie sich umdrehen.
»Nein!«, schrie Herr Yilmaz.
Sie
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