172,3 (German Edition)
verstaute er sein Handy in der Hosentasche und ging zu Beates Töpferladen. Eben noch hatte es gedämmert und jetzt war der Anteil an Schatten größer, als der von Licht. Er begann sich um Larissa zu sorgen. Er begann sich um alle Anwesenden in seinem Umfeld zu sorgen; um Larissa aber besonders, weil er sich mit ihr gestritten hatte – weil seine Wünsche töten konnten! Ihm wurde schlecht bei dem Gedanken. Er wollte ihn am liebsten verdrängen.
Viktor schritt an parkenden Autos vorbei, hörte den Herzschlag der Stadt von der großen Ladenstraße, und wie dieser verebbte, je weiter er sich Beates kleinem Töpferladen näherte. Er stockte während des Gehens, kein Licht drang aus dem Geschäft und als er davor stand, zeigte ihm das kleine Holzschild, dass der Laden geschlossen war.
»Hach«, ärgerte er sich, ging ein paar Schritte zurück zum Auto und kehrte wieder um. Ärgern war nicht hilfreich, zeigte er sich einsichtig und gestand Beate das Recht auf vorweihnachtlichen Stress zu. Vermutlich befand sie sich wie tausend andere im Gedränge der Läden. Erst wollte er ihr eine Nachricht in den Ladenbriefkasten einwerfen, dann verwarf er den Gedanken wieder. Das Geschäft konnte länger geschlossen sein. Er beschloss, die Nachricht an der Tür zu ihrem ›Tempel‹ anzubringen und suchte nach dem Hinterhofeingang.
Schnell wurde er fündig. Ein gepflasterter Weg führte – durch einen Torbogen geschützt – durch die Häuser, links und rechts standen Fahrräder und Kinderkarren und ein bitterkalter Wind jagte mit ihm durch das Tor hindurch. Im Innenhof roch es nach Essensdünsten. Mit Hilfe des aus etlichen Fenstern spärlich einfallenden Lichtes bahnte er sich vorsichtig einen Weg zu dem kleinen Gebäude, welches sich am Ende des Hofes im Dunkeln an eine Mauer lehnte. Er suchte nach einem Stift und einem Zettel in seiner Jacke und wurde fündig. Das matte Licht reichte nicht bis zum ›Tempel‹, die letzten Meter leuchtete er mit der Taschenlampenfunktion seines Handys zum noch dunkleren Umriss des ehemaligen Stalls. In seine Konzentration schlich sich das Gefühl, etwas schon einmal erlebt zu haben, etwas zu kennen, eine Art Déjà-Vu. Er suchte nach einem Hinweis; etwas, das ihn zu diesem Gefühl verleitet hatte. Jedoch erfolglos. Ihm schien es so wichtig, dies herauszufinden, dass sein Herz pochte und er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr.
Viktor stand vor dem Häuschen, tastete, mit dem Zettel und dem Stift in der Hand, nach dem Türgriff oder etwas, wo er seine Nachricht befestigen konnte. Knarrend öffnete sich die Tür auf seinen sanften Druck und Viktor erschrak. Warum stand die Tür offen?
Noch während er überlegte, traf ihn die Erkenntnis, weshalb ihn dieses seltsame Gefühl beschlichen hatte: der Geruch. An diesen beißenden Geruch nach Rauch und Feuer hatte er sich erinnert, nachdem er aus seiner Besinnungslosigkeit beim Baden erwacht war!
*
»Lass uns die Abkürzung durch den Krähenwald nehmen!«, schlug David vor und drehte sich auf dem Rad zu ihr um.
»Oh, warum denn?«, stöhnte Daniela und zitterte vor Kälte. Das kurze Stück mit der Fähre und jetzt das Fahrradfahren hatte sie so unterkühlt, dass sie sich schnell nach Hause sehnte.
»Is´ kürzer! Wir sind wesentlich schneller bei dir. Außerdem muss ich mal.«
»In Ordnung«, willigte sie ein.
»Oh Mann … und wie ich muss!«, rief David und trat in die Pedalen, um wieder vorzufahren. An einigen Häusern vorbei, führte der kleine unbefestigte Weg durch den Krähenwald von der Straße ab. Mit hohem Tempo schoss David um die Kurve. Auf dem Weg stellte er sich auf die Pedalen und sah sich nach Daniela um. Er bremste abrupt und stellte den Dynamo um, damit ihm auf der unbeleuchteten Strecke ein Licht den Weg erhellte. Daniela hielt neben ihm.
»Ich hab kein Licht«, stellte sie fest und ihr wurde beim Anblick der dunklen Umrisse der Bäume mulmig. Was, wenn diese Typen hier lauerten? Blödsinn! Warum sollen die den ganzen Tag im Krähenwald abhängen? Aber vielleicht lauerte etwas anderes? Früher hieß es immer, im Krähenwald sei ein Kind verschwunden, aber Mama und Papa hatten ihr erklärt, dass es zu jedem Flecken Wald eine Gruselgeschichte gab und an dieser sei nichts wahr.
»Vielleicht sollten wir doch lieber auf der Straße fahren?«, gab sie zu bedenken.
»Ach komm!«
Er schwang sich auf und war schon wieder vor ihr. Sie folgte ihm mit einem unguten Gefühl im Bauch.
*
»Komm, wir machen Pause«, sagte Astrid, die
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