172,3 (German Edition)
beiden sich jetzt aufhalten?«
Viktor schüttelte den Kopf. »Nein, wirklich nicht.«
Kommissar Schubert zog eine Visitenkarte aus seiner Brusttasche und reichte sie ihm.
»Wenn Ihnen dazu noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte umgehend bei mir. Der junge Mann in dem Film. Ist das ein …«
Etwas summte und Bräunle holte ein Handy hervor, klappte es auf.
»Ja.«
Er lauschte, nickte einmal und warf seinem Vorgesetzten ein bedeutsamen Blick zu.
»Verstehe. Wir sind gleich da.« Er klappte das Handy zusammen. »Wir haben sie gefunden.«
*
Er musste sich auf dem Weg zu Beate beherrschen. Innerlich war er viel zu aufgewühlt und hätte eigentlich nicht fahren dürfen. Das letzte Mal, dass er sich so ähnlich gefühlt hatte, war er von der Beerdigung seines Vaters zurück gefahren.
Auf den Zufahrten nach Lübeck ging es hektisch zu und er kam von einem Stau in den nächsten. Er musste die Spur wechseln, fädelte sich ein und wurde angehupt, weil er vergessen hatte, den Blinker zu setzen.
Viktor wischte sich den Schweiß von der Stirn und wählte zum wiederholten Mal Larissas Nummer und wartete. Nichts. Er würde gleich die Auskunft anrufen und die Nummer von der Station erfragen. Vorher wählte er Danielas Nummer. Sie ging ran und er bat sie, jetzt nach Hause zu kommen. Danach wählte er die Nummer der Auskunft.
»Ja, Hallo. Können sie mir bitte die Telefonnummer der Psychiatrie der Universitätsklinik in Lübeck geben?«
Eine Ampel sprang auf Rot und er konnte in Ruhe zuhören.
»Nein, gerne von der Station. Station 5.«
…
»Gut, dann die Zentrale … ja, gerne als SMS. Nein … Danke.«
Durchgestellt werden wollte er noch nicht. Dieses Gespräch wollte er in Ruhe führen. Er warf das Handy auf den Beifahrersitz, bog in die kleine Nebenstraße der Lübecker Innenstadt ein und suchte einen Parkplatz.
*
»Was ist?«, fragte David.
Sie standen vor Niederegger in der ›Breite Straße‹ und wollten noch nach den letzten Geschenken sehen. Marzipan kam immer gut an, aber Daniela war sich unsicher, ob sie ihrem Vater damit eine Freude machen würde.
»Wir sollen los.«
Sie zuckte mit den Schultern. Ihr Vater war komisch am Telefon gewesen. Er klang gehetzt. Vielleicht sogar ängstlich.
David stöhnte. »Was soll das denn? Hey, wir sind doch keine Kinder!«, regte er sich auf.
Sie hatte ihn bisher noch nicht eingeweiht. »Nee, ist schon in Ordnung. Er macht sich Sorgen wegen so ’ner Sache gerade«, beschwichtigte sie David. »Außerdem war es doch ganz nett gestern, oder?«
Sie lächelte keck und gab ihm einen Kuss auf die Nase. Er hielt sie fest und küsste sie zärtlich. Die Macht des jugendlichen Verliebt Seins vertrieb die drohenden Schatten der Sorge, die sie in der Stimme ihres Vaters vernommen hatte.
*
Larissa arbeitete seit etwas über zwei Stunden und fühlte sich, als ob ihr eine Woche Nachtschicht in den Knochen steckte. Sicherlich lag es an der langen Nacht mit Vera, aber dennoch war es heute sonderbar unruhig auf Station. Erika kam ins Stationszimmer geeilt und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
»Mann, sind die heute alle bekloppt!«
Larissa lachte über das lose Mundwerk ihrer Kollegin. Sie sah von ihrer Krankenakte hoch, in der sie gerade den Maßnahmenkatalog eines Patienten ausfüllte und schüttelte den Kopf.
»Ich sag´s dir. Herr Jakobi ist so psychotisch wie schon seit Jahren nicht mehr«, pflichtete sie bei.
In diesem Moment hörten sie ihn aus dem Aufenthaltsraum unverständlich brüllen. Larissa verstand nur »Jesus Christus« und »Fotze«, einen typischen Anzeiger für religiöse Wahnvorstellungen. Erika nahm einen Schluck Kaffee, stand auf und wollte zurück auf die Station. An der Tür drehte sie sich um.
»Du, das sind wieder die ganzen Religionsspinner, die heute so durchdrehen. Bestimmt wegen Weihnachten. Muss wohl irgendwie was dran sein.«
Sie lachte trocken und schloss die Tür hinter sich. Larissa dachte kurz darüber nach. Stimmt. Die Häufigkeit religiöser Schübe nahm auch ihrer Erfahrung nach an den christlichen Feiertagen zu. Sie kaute nachdenklich auf dem Stift und verwarf ihre wirren Spekulationen wieder. Wahrscheinlich lag es an der allgemeinen Aufregung vor den Weihnachtstagen. Das spürten die Patienten natürlich. Sie widmete sich wieder ihrem Katalog und knipste die Schreibtischlampe an, weil es draußen langsam dunkel wurde. Ein lauter Schrei aus dem Aufenthaltsraum, ein Poltern, ein Hilferuf. Larissa ließ die Akte fallen und rannte los.
*
Nach dem zwölften Klingeln
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