1724 - Die Heilige der Hölle
ertränkt haben. Man warf die Frau in einen Brunnen.«
»Brunnen?«, wiederholte Judith leise.
»So ist es!«, bestätigte der Templer.
Judith Bergmann hob langsam die Hand und drückte sie gegen ihr Kinn. Dabei wurden ihre Augen groß und sie flüsterte: »Ja, der Brunnen, ich weiß, dass es hier in der Nähe einen Brunnen gibt. Er ist auch nicht weit vom Kloster entfernt – oder?« Sie schaute Gerold dabei an, und der nickte.
Auch Godwin hatte zugehört. »Können Sie ihn beschreiben?«
»Ja, aber ich – ich – weiß nicht, ob er so etwas Besonderes ist. Ein Brunnen aus Stein.«
»Und kreisrund?«
»Auch!«
Der Templer nickte. »Ja, das ist er. Ich habe ihn gesehen. Er war damals bis zum Rand mit Wasser gefüllt. Ist er das heute auch noch?«
Judith nickte. »Ja, Wasser ist in ihm. Das weiß ich genau. Aber ob es bis zum Rand reicht, kann ich nicht sagen.«
Godwin winkte ab. »Egal. Ich werde ihn mir auf jeden Fall anschauen.«
»Und wann?«
»Noch in dieser Nacht …«
***
Auch diesmal hatte Judith dem Templer geholfen, die Klinik zu verlassen. Es war nicht so einfach für fremde Personen, in diesen Komplex zu gelangen, aber dank der Hilfe der Krankenschwester war es kein Problem gewesen.
Judith Bergmann hatte ihm den Weg beschrieben, wie er auf dem kürzesten Weg den Brunnen erreichte.
Er musste hin. Es gab für ihn keine andere Alternative, denn er wurde von einer inneren Unruhe getrieben, und er dachte nicht daran, sich dieser Stimme zu widersetzen.
Es war eine einsame Strecke. Besonders in der Nacht, wo keine Spaziergänger oder Wanderer unterwegs waren, und so schritt er allein durch die dunkle, ihm unbekannte Gegend.
Dass er sich schon mal in dieser Gegend aufgehalten hatte, ging ihm nicht aus dem Kopf. Eine Erinnerung daran fehlte ihm, denn Godwin war nicht wiedergeboren worden, er war durch seinen Freund John Sinclair aus seiner Zeit herausgeholt worden und in einer fernen Zukunft gelandet, in der er sich gut eingerichtet hatte. Er hatte nicht die geringste Sehnsucht nach der anderen Zeit.
Die Krankenschwester hatte von einer Wegkreuzung gesprochen. Bisher hatte er sie noch nicht erreicht, aber er hörte das schnelle Fließen des Bachwassers, und auch das war ihm gesagt worden.
Er würde sich in der Nähe des Bachs halten müssen.
Vom alten Kloster hatte er auch noch nichts gesehen. Kein Lichtschein erhellte die Nacht. Hin und wieder hörte er den Flügelschlag eines Nachtvogels, ohne das Tier jedoch zu sehen.
Und dann war es so weit. Er wäre beinahe an der Kreuzung vorbei gelaufen, weil kein Schild darauf hinwies. Im letzten Augenblick blieb er stehen und drehte seinen Kopf nach links, denn in die Richtung musste er gehen.
Es war jetzt nicht mehr weit bis zu seinem Ziel. Diesmal hinderte ihn kein einziger Baum am freien Blick. Er sah eine dunkle Fläche, die leicht abwärts führte. Es gab hier keinen Weg mehr. Er musste querfeldein gehen.
Von einem Verfolger hatte er weder etwas gesehen noch gehört, denn auch darauf hatte er sich eingerichtet.
Der Untergrund war weich. Er kam gut voran und wartete darauf, dass er den Brunnen zu Gesicht bekam. Judith hatte ihm erzählt, dass der Brunnen nicht frei lag. Im Laufe der Zeit waren die Pflanzen in die Höhe gewuchert und hatten ihn fast unsichtbar gemacht.
Godwin musste nicht lange gehen, um zu merken, dass sich der Boden nicht mehr senkte. Das war für ihn der Beweis, bald vor dem Brunnen zu stehen, und er täuschte sich nicht.
Plötzlich war er da!
Nur Teile von ihm waren zu sehen, weil Gestrüpp und Gras einfach zu hoch wuchsen, doch war es für ihn kein Problem, die Zweige zur Seite zu biegen.
Nun sah er das alte Mauerwerk vor sich.
Erinnerungen fluteten in ihm hoch. Er sah wieder, wie die Heilige der Hölle, mit Steinen beschwert, in das kalte Wasser geworfen wurde.
Er beugte sich über den Rand.
Damals hatte er auf eine Wasserfläche im Brunnen geschaut. Jetzt sah er nicht mal, ob sich noch Wasser im Brunnen befand.
Godwin bückte sich und suchte nach einem Stein. Er fand ihn, warf ihn nach unten und hörte ein Klatschen.
Es war also noch Wasser da.
Er beugte sich wieder vor – und plötzlich hatte er den Eindruck, dass Eiswasser über seinen Rücken floss, denn was er in der Tiefe sah, das ließ ihn für einen Moment an seinem Verstand zweifeln. Im Wasser oder auf der Oberfläche zeichnete sich etwas ab. Es war hell. Durch die schwachen Wellen tanzte es hin und her, und der Templer traute seinen Augen nicht.
Und
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