1728 - Luzifers Botin
stellte.
»Bist du mein Schutzengel, Jamila?«
»Oh, wie kommst du darauf?«
David setzte zweimal an, um die Antwort zu geben. »Weil mir meine Großmutter davon erzählt hat. Sie sagte immer, dass ich im Leben keine Angst haben müsste, denn es gibt einen Schutzengel, der auf mich aufpasst, und das bist du doch – oder?«
Jamila war zwar nicht geschockt, aber sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Dass die Unterhaltung so verlaufen würde, damit hatte sie nicht rechnen können, das passte ihr nicht, und sie schüttelte ärgerlich den Kopf.
»Es gibt keine Schutzengel, hörst du?«
»Meine Großmutter lügt aber nicht.«
»In diesem Fall schon.«
David trat mit dem Fuß auf. Er war plötzlich wütend geworden, und fragte mit leicht schriller Stimme: »Wer bist du dann?«
Es gefiel Jamila nicht, dass der Junge so laut gesprochen hatte. Auf keinen Fall wollte sie, dass die anderen Schläfer geweckt wurden.
»Ich bin ein Engel«, erklärte sie. »Und zwar ein Todesengel. Ich habe dir doch gesagt, woher ich komme. Und dabei bleibe ich. Die Hölle wird sich freuen, wenn sie eure Seelen bekommt, und die Welt wird entsetzt sein, was hier passiert ist. Es sind die ersten Zeichen des großen Umbruchs, der bevorsteht. Wir haben es satt, immer nur im Hintergrund zu bleiben. Ich bin geschickt worden, um das Tor zu öffnen, und mit dir fange ich an.«
Der Junge hatte nicht alles begriffen, aber sein Unterbewusstsein meldete sich schon. Zuvor hatte er es nur gespürt, jetzt wusste er, dass dieser Engel kein Freund, kein Beschützer, sondern eine böse Erscheinung war.
»Geh weg!«, sagte er. »Geh weg! Ich will dich nicht mehr sehen. Du bist kein Freund…«
»Das bin ich wirklich nicht.« Jamila schwebte wieder dem Boden entgegen, auf dem sie lautlos landete. Sie sah den Jungen an, der sich am Bettgestell festhielt und seiner Angst nicht mehr Herr werden konnte. Er schrie nicht, aber seine Augen füllten sich mit Tränen, und er öffnete den Mund, um zu schreien.
»Nein, so nicht!« Jamila wollte zugreifen und hatte ihre beiden Arme schon vorgestreckt, um nach dem Jungen zu greifen.
Das tat sie nicht.
Etwas hinderte sie.
Es war nicht der Junge, der dafür verantwortlich war, sondern etwas, das weiter entfernt lag.
Die Tür war geöffnet worden, das hatte Jamila noch mitbekommen. Sie ließ sich von David ablenken und schaute zur Tür hin, wo plötzlich zwei Gestalten erschienen waren, mit denen sie zu diesem Zeitpunkt niemals gerechnet hätte…
***
Ich hatte die Tür zum Schlafsaal öffnen wollen, aber Raniel war mir zuvorgekommen.
Er stand auf der Schwelle, und sein breiter Körper verdeckte mir die Sicht.
Das gefiel mir nicht. Ich drückte mich an ihm vorbei und sah ebenfalls, was sich in dem Schlafsaal abspielte.
Jamila war da!
Sie stand ziemlich weit hinten und war wegen der Lichtverhältnisse nicht genau zu erkennen. Dass ein Kind sich in ihrer Nähe aufhielt, sahen wir trotzdem.
Ich hatte hinrennen wollen, überlegte es mir dann anders und wollte zunächst mein Kreuz hervorholen, um es als Schutz vor meine Brust zu hängen.
»Du bleibst zurück, John. Das ist meine Sache!«
»Nicht ganz. Ich werde…«
»Gib mir Rückendeckung.«
Ich wusste zwar nicht, warum er das sagte, weil ich nur einen Gegner sah, aber ich widersprach ihm auch nicht, sondern huschte zur Seite und holte endlich das Kreuz hervor, das wenig später offen vor meiner Brust hing.
Ja, das Metall hatte sich erwärmt. Das Böse lauerte in der Nähe und das in der Gestalt dieses Engels, den ich zum ersten Mal richtig zu Gesicht bekam, wegen der Dunkelheit aber nicht viel erkannte. In diesem Grau verschwamm alles, und so holte ich meine Taschenlampe hervor, ohne sie schon einzuschalten.
Bisher hatten die Schüler tief und fest geschlafen. Bis auf einen, der in der Nähe des Engels stand und sich von dort auch nicht wegbewegte. Aber es war nicht mehr die Ruhe vorhanden, die hätte sein müssen, denn ich sah und hörte auch, dass einige der anderen Schüler allmählich erwachten.
Sie drehten sich in den Betten. Sie murmelten etwas vor sich hin. Manche setzten sich auch auf. Die Unruhe war da, und sie würde auch bleiben.
Raniel ging einen langen Schritt nach vorn und hörte die Frage des Engels.
»Was willst du hier?«
»Dich, Jamila.«
Sie lachte. »Gib es auf. Du wirst mich nicht bekommen. Die Wand wurde eingerissen. Der Weg in diese Welt ist für uns frei, und das werden wir ausnutzen. Wir sind bereit, die Macht zu
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