1728 - Luzifers Botin
hier dachte, dann wurde mir ganz anders, denn ich wollte mir nicht ausmalen, was geschehen könnte, wenn sich hier Schüler aufhielten. Diese Jamila würde keine Gnade kennen.
Raniel hatte meine Gedanken erraten. Nach einem Seufzer gestand er ein, dass sich hier viele Menschen aufhielten. Junge Menschen, Kinder.
»Und weiter?«, fragte ich.
»Sie sind die idealen Opfer. Jamila kann mit ihnen machen, was sie will. Ich glaube nicht, dass die Kinder Angst haben, wenn sie einen Engel sehen. Darauf kann sie setzen. Sie gewinnt das Vertrauen der Kinder, um dann zuzuschlagen.«
»Du meinst töten?«
»Wie auch immer.«
Es war eine schreckliche Vorstellung, die Raniel da ausgesprochen hatte. Kinder zu töten, das ging mir mehr als nur gegen den Strich. Man konnte für Mörder manchmal Verständnis aufbringen, das war bei mir der Fall, aber da gab es Unterschiede. Kinder umzubringen, das durfte nicht sein. Dafür gab es kein Motiv, zumindest keines, was ich mir vorstellen konnte.
Ich wollte es genau wissen. »Was könnte diese Jamila denn noch alles vorhaben?«
»Keine Ahnung.«
Mehr sagte er nicht. Dafür ging er auf den Eingang zu. Einige Meter mussten wir schon noch zurücklegen. Dabei ließ sich mein Begleiter Zeit.
Ich blieb hinter ihm und machte mir meine Gedanken. Ich wusste eigentlich noch immer nicht, was ihn genau dazu trieb, Jamila zu jagen, um sie letztendlich zu vernichten. In anderen Fällen hatten bei mir auch Engel eine Rolle gespielt, doch war Raniel nie erschienen, um mir zur Seite zu stehen, von Ausnahmen mal abgesehen. Warum hängte er sich jetzt so rein?
Es hatte keinen Sinn, ihn zu fragen. Eine Antwort hätte ich nicht erhalten.
Also ging ich hinter ihm her und blieb stehen, als auch Raniel stoppte.
Die Eingangstür lag jetzt direkt vor uns.
Er zögerte noch, sie zu öffnen und bewegte seinen Kopf. Mal drehte er ihn nach rechts, dann wieder nach links, als wäre er dabei, etwas zu suchen, ohne es allerdings zu finden, denn einen Kommentar hörte ich nicht von ihm.
»Was stört dich?«, fragte ich.
»Die Stille.«
Ich nahm das nicht so ernst und sagte: »Es ist Nacht und…«
»Ich weiß, John. Trotzdem stört mich etwas. Ich glaube, dass sie hier war, und es kann durchaus sein, dass sie noch nicht wieder verschwunden ist. Das werden wir herausfinden müssen.«
»Dagegen habe ich nichts.« Ich war es leid und drückte mich an Raniel vorbei, um die Tür zu öffnen. Viel Hoffnung hatte ich nicht. Um diese Zeit sind die Herbergen normalerweise abgeschlossen, aber hier war das nicht der Fall.
Die Tür ließ sich nach innen drücken, was mich schon wunderte. Darüber sprach ich mit Raniel nicht, sondern betrat den Bau, in dem es irgendwie muffig roch und auch nach Essen und Putzmitteln.
Bereits von draußen hatte wir gesehen, dass in diesem Vorraum Licht brannte. Es reichte aus, um alles erkennen zu können. Wir befanden uns in einem Raum, der einem kleinen Foyer ähnelte. Es gab einen Tresen, der eine Abgrenzung darstellte. Dahinter hielt sich niemand auf. Überhaupt hatte ich den Eindruck, dass hier alles verlassen war.
Der Gerechte war mir gefolgt und stand nun neben mir. Mit leiser Stimme sprach er das aus, was er empfand.
»Sie ist hier gewesen. Und sie hat ihre Zeichen hinterlassen. Es gibt die Spuren.«
»Und wo?«
Raniel lachte. Warum er das tat, wusste ich nicht, bis er seinen rechten Arm bewegte und schräg mit dem ausgestreckten Zeigefinger zu Boden wies.
Er musste nichts mehr sagen, denn ich sah es auch. Nicht weit von der Abtrennung entfernt lag etwas auf dem Boden, das wie Pulver aussah. Ich hatte es völlig übersehen, nun aber stieg mir das Blut in den Kopf, als ich mich näher mit dem Geschehen auseinandersetzte.
»Das war einmal ein Mensch, der Jamila in die Quere kam«, erklärte Raniel. »Ich weiß nicht mal, ob es sich um einen Mann oder eine Frau gehandelt hat, aber es ist das, was von einem Menschen zurückbleibt, wenn er auf diese Gestalt trifft. Das müssen wir hinnehmen, so schlimm es auch ist.«
Jetzt war auch ich davon überzeugt, dass Jamila diesem Ort hier einen Besuch abgestattet hatte. Ich spürte einen Druck im Magen und fühlte mich zugleich völlig hilflos.
»Und weiter?«
Raniel nickte mir zu. »Es kann durchaus sein, dass sie noch hier in der Nähe ist.«
»Du meinst hier im Haus?«
»Ja.«
Ich sagte nichts, fühlte mich überfordert und fand schließlich die richtigen Worte.
»Dann können wir uns darauf gefasst machen, noch mehr von
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