173 - Der Dämonen-Henker
ja?«
Die Frau nickte und schluckte trocken. Vielleicht würde es schiefgehen, aber Mel hatte recht. Sie mußten es wenigstens versuchen.
Mel begann zu zählen: »Eins… zwei …« Plötzlich weiteten sich seine Augen. Er sah erschrocken, wütend und enttäuscht aus. Eve Bellamy konnte es verstehen, denn sie fühlte ähnlich. Eben erst hatte ihre kleine Hoffnung angefangen zu leben, und nun zerplatzte sie wie eine dünnhäutige Seifenblase, denn einer der beiden Ghouls betrat den Living-room.
Die Frau hatte Angst um ihren Sohn, in dessen bleichem Gesicht es heftig zuckte. Sie befürchtete, daß er trotzdem die Flucht wagen würde, und beschwor ihn mit einem bettelnden Blick, es nicht zu tun.
Es fiel ihm sichtlich schwer, sich zu beherrschen. Freiheit und Rettung waren zum Greifen nahe gewesen, und nun diese schreckliche Enttäuschung; das war nicht leicht zu verkraften.
»Vielleicht geht er gleich wieder hinaus«, raunte Mel seiner Mutter zu.
Der Leichenfresser hatte im Moment völlig normale Hände. Nur seine unangenehme Ausdünstung verriet, daß er ein Ghoul war.
Jene, die unerkannt unter Menschen leben wollten, verwendeten häufig starke Duftwässer, die ihren Geruch überdeckten.
Der Ghoul kam auf Mutter und Sohn zu. Er bleckte normale Zähne, die weiß und regelmäßig waren. Sein Gesicht hatte markante Züge, das Haar war dicht.
Je näher er kam, desto schneller schlug Mels Herz. Der Ghoul beachtete ihn nicht, seine Augen waren auf Eve Bellamy gerichtet. Als er die Hand ausstreckte, versteifte sich die Frau.
Seine Finger berührten ihr Haar, und Mel schaffte es nicht, sich länger zu beherrschen.
»Faß meine Mutter nicht an, du Bastard!« schrie er, sprang auf und warf sich dem Leichenfresser mit vorgestreckten Fäusten entgegen. Kraftvoll stieß er den Ghoul zurück, ohne zu bedenken, daß er damit sein Leben aufs Spiel setzte. Er konnte nicht anders, mußte seine Mutter verteidigen. Es war ein Reflex, über den er keine Kontrolle hatte.
»Mel!« schrie Eve Bellamy entsetzt und sprang gleichfalls auf.
Die Farbe der Augen des Leichenfressers veränderte sich, und seine Zähne wurden gelb und spitz. Auch er hatte die Beherrschung verloren, und er hätte Mel augenblicklich getötet, wenn Oggral ihn nicht mit donnernder Stimme zurückbefohlen hätte.
Knurrend ließ der Ghoul von dem Jungen ab und wich zurück.
Mel stand zitternd vor Wut und Haß da und begriff, daß ihm Oggral soeben das Leben gerettet hatte. Der Dämon befahl Eve Bellamy und ihrem Sohn, sich wieder zu setzen. Den Ghoul schickte er hinaus, doch er folgte ihm nicht, und das bedeutete für Mel und seine Mutter, daß die Fluchtchance vertan war.
***
Jene, die es in erster Linie anging, nämlich Chrysa und Kolumban, wußten Bescheid. Ich hatte gleich nach Oggrals Anruf mit Lance gesprochen, zunächst unter vier Augen, weil ich nicht wußte, was er für richtig hielt. Er sagte dann, daß er das Chrysa nicht vorenthalten dürfe, und informierte sie.
Oda, Roxane und Chrysa hatten Kolumban sodann ihren Trank eingeflößt, von dem ich den Eindruck hatte, daß er sogar Tote aufgeweckt hätte.
So massiv war wohl noch keiner Verwundung zuleibe gerückt worden: Magische Ingredienzien, zu einem Trank von unerhörter Wirkung verkocht, angereichert mit dreifacher Hexenkraft – und dazu noch Mr. Silvers Heilmagie… Das mußte Kolumban einfach auf Vordermann bringen. Man konnte direkt zusehen, wie er sich erholte und wie die Wunde immer kleiner wurde.
Chrysa sprach mit ihm über Oggrals Ultimatum und sagte, sie wolle nicht, daß jemand anderer für sie starb.
»Das möchte ich auch nicht«, sagte Kolumban.
»Oggral will uns haben, er soll uns bekommen«, sagte Chrysa düster.
»Das ist nicht dein Ernst!« sagte Lance Selby leidenschaftlich.
»Ich lasse nicht zu, daß ihr zu ihm geht.«
»Er wird Eve Bellamy und ihren Sohn eiskalt töten«, sagte Chrysa. »Oggral blufft nicht, der führt aus, was er sagt.«
»Denkst du, er läßt die Frau und ihren Sohn laufen, wenn ihr euch ihm ausliefert? Ich glaube, nicht.«
»Wir müssen es versuchen, das ist unsere Pflicht«, sagte Chrysa.
»Wir sind es den Bellamys schuldig, denn durch uns sind sie in diese schreckliche Lage geraten.«
»Wir wissen, wo sich Oggral befindet und wie viele Gegner es sind. Wenn wir sie alle zusammen angreifen…«
»Würden zuallererst die Bellamys sterben«, fiel Chrysa dem Parapsychologen ins Wort. »Das dürfen wir nicht tun, Lance.«
Die Zeit schritt rasch
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