173 - Die Rache des Hexers
Munante in der Kleidung des Sonnenkönigshofs zeigte und über seinem Mumiengesicht eine Allongeperücke trug, dazu viele Ringe an den gleichfalls zu Vogelkrallen geschrumpften Fingern. Die Sippe der Munantes, über die Ubaldo nicht viel aussagen konnte, schien weitaus mächtiger zu sein als die verwahrloste Schar der Najeras. Coco deutete auf die Brust des Dämons vor ihr und bestimmte: „Wir richten uns danach, was du gesagt hast. Wenn ich meinen Sohn wiederhabe, könnt ihr tun, was ihr wollt. Ich habe keine Zeit, mit mich euch herumzustreiten. Hilfe gegen Hilfe - was könnt ihr tun?"
Nach einigem Zögern antwortete Ubaldo: „Wir bewachen euren Weg. Wenn ihr müde seid, beschützen wir euren Schlaf. Wir warnen euch, wenn Munante seine Macht zeigt."
„Ich bin einverstanden", sagte der Dämonenkiller. „Wir gehen jetzt."
„Ja, geht. Tötet diesen Emporkömmling!" bat Ubaldo in kläglichem Ton. „Tötet ihn, damit wir leben können."
Coco zuckte die Schultern und drehte sich um. Dorian schaffte sich mit einigen Bewegungen Raum und ging auf die unregelmäßige Öffnung zu. Hinter ihm und Coco raschelten und flüsterten die Dämonen in heller Aufregung, wie es schien, in neuerwachter Hoffnung auf ein besseres Leben.
Erst auf der obersten Steinplatte riskierte es der Dämonenkiller, sich umzudrehen. Als er im rötlichen Sonnenlicht blinzelnd in die Höhle zurückblickte, konnte er nur noch sehen, daß sich die Gruppe der Dämonen bis an die Grenze der Helligkeit vorgewagt hatte und dort stehengeblieben war. Dürre Finger streckten sich aus, und für einen winzigen Augenblick spürte Dorian Hunter so etwas wie einen Anflug von Mitleid.
Er schüttelte sich und folgte Coco über die Stufen. Jeder weitere Schritt brachte sie etwas weiter aus dem Gestank und dem Unrat hinaus. Schweigend legten sie einige hundert Schritte zurück, ohne verfolgt oder belästigt zu werden.
„Auf nach Tuxtla", sagte Dorian und verstaute seinen Kommandostab. „Du wirst mit Martin wohl bald telepathischen Kontakt aufnehmen wollen."
„Natürlich", erwiderte Coco. „Aber zuerst einmal muß ich aus diesem bezaubernden Tal hinaus. Der Kondorgott also. Jetzt wird mir vieles klarer. Der Hexer hat Tirso und Martin entführen lassen, um ihn zu verhexen. Für uns bedeutet es weitere Zweifel, bis ich erfahren habe, was bei Martin vor sich geht."
Der Dämonenkiller nickte, hob die schwere Tasche auf und hängte sich die Riemen über die Schulter. Eine halbe Stunde später hockten sie auf einem verwitterten Kilometerstein und warteten unter einem fast unlesbaren Schild auf den Bus.
Coco hielt den gedanklichen Kontakt mit ihrem Sohn ungewöhnlich lange. Schließlich atmete sie tief durch und flüsterte:
„Wir sind noch nicht zu spät, Dorian. Martin hat mir zu verstehen gegeben, daß eine große Feier zu Ehren des Kondorgotts bevorsteht. Die Indios haben den beiden Kleinen gesagt, daß sie ein besonderer Teil dieser Feier sein würden. Du kannst dir vorstellen, was damit gemeint ist."
Dorian nickte ernst.
„Ein Ritual, das Jean de Munante initiiert hat oder abhalten wird. Er will die Jungen zu Hexern machen, womöglich hat er persönlich etwas mit dem Husiniamui zu tun."
„Also: so schnell wie möglich in dieses Dorf!"
Dorian deutete nach rechts. Dort näherte sich in einer riesigen Staubwolke, die von den Strahlen der Abendsonne durchflutet wurde, ein uraltes Vehikel, dessen Motor nicht weniger laut krachte und dröhnte als die Federn und der Aufbau.
„Dort kommt unser Überlandbus", sagte er. „Besser schlecht gefahren als exzellent gelaufen, Liebste."
Die einzige positive Feststellung an diesem Tag erwartete sie nach dem Ende der alptraumhaften Busfahrt.
Außerhalb von Tuxtla konnte der Dämonenkiller mit einiger Mühe ein schwaches und unzuverlässiges Magnetfeld ausmessen. Vielleicht mußten sie es im Notfall benutzen.
Niemand wußte, wie sich die Dinge entwickeln würden.
Knapp zwei Stunden vor Mitternacht schien der Höhepunkt des Lärms und der Aufregungen erreicht.
Um die Mauern von Castillo Basajaun schien die Wilde Jagd zu toben.
Unzählige Flämmchen, kürzer als ein Kinderfinger, brannten und leuchteten rund um Türme, Mauern, Eingang und Felsschroffen. Eine Flut von geisterhaften Lichtern verbreiteten eine fahle, phosphoreszierende Helligkeit. Sie reichte aus, um die ebenen Flächen zwischen den Felsen, den Hängen und dem Fuß der Quadermauern einigermaßen zu beleuchten - so hell jedenfalls, daß die
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