1730 - Das Schlangengrab
gehen?«
Der Professor seufzte. Er legte seine Hände flach auf die Lehnen des ledernen Ohrensessels und schüttelte den Kopf. »Sie sind wirklich ein Quälgeist.«
»Pardon, aber das haben Journalisten nun mal so an sich.«
»Ja, ich weiß«, erklärte der Inder nickend, »in meiner Heimat ist es nicht anders.«
Bill sah so etwas wie einen Hoffnungsschimmer und sagte: »Sie haben von einem besonderen Grab gesprochen. Von einem Schlangengrab, wenn ich mich nicht irre.«
»Das trifft zu.«
»Und warum darf ich es nicht sehen?«
»Ich habe meine Prinzipien, die ich einhalten muss. Wie Sie sicherlich auch.«
»Kann man so sehen.« Bill ließ nicht locker. »Ich denke, dass unsere Begegnung etwas anderes ist. Sie wollen Werbung für Ihre Ausstellung machen und enthalten mir ausgerechnet das wertvollste Stück vor? Irgendwie kann ich das nicht begreifen.«
»Ja, ich verstehe Sie. Aber Sie müssen auch mich begreifen. Es ist so außergewöhnlich, dass ich es erst bei der Eröffnung präsentieren möchte.«
Bills Gesicht zeigte einen enttäuschten Ausdruck. »Dann kann ich es also nicht sehen?«
Professor Sarweti dachte nach, dann seufzte er wieder, schüttelte den Kopf und sprach davon, dass Bill nun wirklich schon mehr als ein Quälgeist war.
»Aber ich schlage Ihnen einen Kompromiss vor«, sagte er dann.
»Das hört sich nicht schlecht an.«
Jetzt leerte der Professor seine Teetasse und machte es spannend. Er ließ dabei seine Blicke über die mit Büchern gefüllten Regale wandern, bis er sich überwand, etwas zu sagen.
»Es ist nicht gut, wenn Sie das Kunstwerk schon jetzt zu sehen bekommen. Ich habe auch meine Vorgaben, aber Sie sind ein erwachsener Mensch und wissen, was Sie tun.«
»Das allerdings, Professor. Aber von welchen Vorgaben haben Sie gesprochen?«
Sarweti winkte ab. »Lassen wir das. Es war nur so dahingesagt.«
Das nahm Bill ihm zwar nicht ab, aber er ging auch nicht näher darauf ein. Er war nur gespannt darauf, zu welchem Kompromiss sich der Professor durchgerungen hatte.
»Ich werde es Ihnen zeigen.«
Bill war überrascht. »Also doch?«
»Nicht ganz, wie Sie vielleicht meinen, Mister Conolly. Sie werden es sehen, aber nicht als Original, sondern als Fotografie. Ja, ich habe das Schlangengrab fotografiert, und ich denke, das sollte Ihre Neugierde befriedigen.«
Besser als nichts!, dachte Bill und nickte erfreut.
Der Inder erhob sich aus seinem Sessel, nickte Bill noch mal zu und ging zu seinem Schreibtisch. Seine Schritte wurden dabei von einem dicken Teppich gedämpft.
Am Schreibtisch stehend öffnete er die mittlere Schublade und griff hinein. Bill konnte ihn von seinem Platz aus beobachten und sah, dass der Mann eine Mappe hervorholte, die er auf die Schreibtischplatte legte und ausbreitete.
Was sich darin verbarg, sah der Reporter nicht. Er konnte sich denken, dass es sich um Fotografien handelte, und hatte sich nicht geirrt, denn der Professor hielt eine solche in den Händen, wedelte damit und kam auf Bill zu.
»Bitte sehr.«
Der Reporter nahm sie entgegen. Es war das Schlangengrab, obwohl es nicht direkt als ein Grab zu erkennen war, was Bill auch bemerkte.
Der Professor nickte. »Diese Antwort habe ich erwartet, Mister Conolly. Es ist auch kein Grab, wie man es hier in Mitteleuropa kennt. Zum einen ist es aus Gold.«
»Das ist nicht zu übersehen.«
»Und zum anderen zeigt es die Verbindung zwischen der menschlichen und der göttlichen Welt.«
»Inwiefern?«
»Schauen Sie genau hin. Sie sehen die Platte im Hintergrund und in der unteren Hälfte den Mann und die Frau.«
»Ja, und einen funkelnden Goldschatz.«
»Genau.«
Mann und Frau hockten sich gegenüber. Der Mann trug eine Krone auf dem Kopf. Er sollte wohl ein König sein, und er schaute eine barbusige Frau an, die ihm gegenübersaß, keine Krone trug, dafür aber langes Haar. Beide schienen sich etwas sagen zu wollen, wobei sie mitten im Gespräch erstarrt waren.
Als Bill vor sich hin nickte, hörte er die Stimme des Professors. »Und dann gibt es noch den oberen Teil des Bildes, der wohl etwas verstörend wirkt.«
»Sie meinen die goldene Schlange?«
»Wen sonst?«
»Ja, sie ist schon ungewöhnlich. Aber sicherlich nicht in Ihrer Mythologie.«
»Da haben Sie recht, Mister Conolly. Die goldene Schlange hat auf diesem Bild eine besondere Bedeutung. Man schreibt sie der Göttin Kali zu, der Muttergöttin und der Schutzgöttin meiner Stadt Kalkutta.« Der Ethnologe lächelte weise. »Das ist nun mal
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