1735 - Haus der Verfluchten
leben musste.
Fiona hoffte, dass sie mehr erfahren würde, wenn ihr Mann sich etwas erholt hatte. Das konnte allerdings dauern, wobei sie viel Geduld haben musste. Sie schaltete noch eine Lampe an, um etwas Licht zu haben. Es war die alte Stehleuchte mit dem Pergamentschirm. Sie hatte sie noch von ihrer Großmutter.
Gary Ross saß völlig apathisch in seinem Sessel. Er sah kaum auf, als seine Frau das Zimmer betrat, die bewusst forsch ging und auch ihrer Stimme einen entsprechenden Klang gab.
»So, mein Lieber, jetzt gibt es erst mal einen kräftigen Schluck. Danach wirst du dich besser fühlen.«
Er sagte nichts und schaute nur das Glas an, das ihm seine Frau entgegenhielt. Dann hob er mühsam beide Arme und fasste nach dem Glas. Er nahm es in beide Hände, setzte es zitternd an seine Lippen, etwas Wasser schwappte auch über, doch das meiste wurde getrunken.
Gary Ross trank und hörte gar nicht mehr auf. Es war ein hohes Glas und bis zum Rand gefüllt worden, und das trank Gary in einem langen Zug aus. Dann setzte er das leere Glas auf seine zusammengepressten Oberschenkel.
»Noch einen Schluck?«
»Nein, jetzt nicht.«
»Geht es dir denn besser?«, fragte sie.
Er runzelte die Stirn. Dann fuhr er durch das dünne graue Haar, das nur die hintere Hälfte seines Kopfes bedeckte. »Ja, ich habe im Moment keinen Durst mehr.«
»Toll.« Fiona lächelte und fragte dann wie eine liebende Ehefrau: »Hast du denn Hunger?«
»Was?«
»Ob du Hunger hast, habe ich gefragt. Wenn ja, könnte ich dir eine Kleinigkeit zubereiten. Vielleicht eine Pizza oder eine kleine Quiche?«
»Nein, nichts.«
»Okay, Gary, dann können wir uns ja unterhalten, wenn du nichts dagegen hast.«
Er sagte nichts.
»Möchtest du mir nicht sagen, wo du in der letzten Zeit gewesen bist?« Während Fiona das fragte, holte sie einen Stuhl heran und nahm darauf Platz.
Er hatte die Frage verstanden, das sah sie an seiner Reaktion, denn er verzog das Gesicht und leckte anschließend seine trockenen Lippen.
»Bitte, Gary, es ist doch wichtig. Du kannst dir vorstellen, dass ich mir Sorgen gemacht haben. Und dein Sohn Benny auch.«
Jetzt zuckte er zusammen. Die Lethargie verschwand, und er fragte: »Benny?«
»Ja, dein Sohn.«
»Gut.«
Die schlichte Antwort bereitet Fiona Sorgen. Er hatte sie gegeben, als hätte sie von einem Fremden gesprochen. Das bereitete ihr schon Sorgen, denn Benny und er hatten sich immer gut verstanden.
»Willst du wissen, wo er ist?«
»Meinetwegen.«
»Er ist unterwegs. Heute ist ja Samstag und ein sehr warmer Abend. Er amüsiert sich, und er wird froh sein, wenn er hört, dass sein Vater wieder im Haus ist.«
Gary gab eine Antwort, mit der seine Frau allerdings nicht gerechnet hatte.
»Ich bin verflucht.«
Fiona schloss die Augen. Nicht lange, nur für einen Moment. Sie wollte es nicht wahrhaben. Sie hatte sich bereits damit abgefunden, dass er daran nicht mehr denken würde, umso härter traf sie der Spruch jetzt. Sie musste schon sehr stark sein, um nicht die Nerven zu verlieren.
»Bitte, das kannst du nicht immer sagen. Du bist jetzt bei mir und nicht verflucht.«
»Doch, das bin ich!«
Sie wollte es erneut wissen. »Und wer hat dich verflucht?«
Er musste einen Moment nachdenken. »Es waren die anderen. Es sind keine Menschen, verstehst du? Sie haben mich geholt, mich entführt. Ja, so war das.«
Fiona fand keine Worte mehr. Egal, was sie sagte, sie konnte den Panzer nicht durchbrechen. Er blieb bei seiner Behauptung, und allmählich machte sie sich Gedanken darüber, ob ihr Mann nicht doch die Wahrheit sagte.
»Kannst du dich denn daran erinnern, wo du in der Zeit gewesen bist?«
»Ja, im Haus.«
»Aha.«
»In einem einsamen Haus mit großen Bäumen darum. Es ist das Haus der Verfluchten, und ich bin nicht der einzige Bewohner dort gewesen, das kannst du mir glauben.«
Fiona ging weiter darauf ein. »Wer war denn noch dort?«
»Andere. Ich kenne sie nicht.«
»Und dich hat man laufen lassen?«
Wieder musste Gary nachdenken. »Das weiß ich nicht so genau. Ich bin weg aus dem Haus, aber ich war verflucht und bin es auch jetzt noch. Ich befinde mich unter ihrer Kontrolle. Und ich muss tun, was sie wollen.« Er nickte. »Ja, das muss ich.«
»Und was ist das?«
Diesmal erfolgte die Antwort spontan. »Töten, Fiona, ich muss töten. Auch dich...«
***
Jetzt war es heraus, und Fiona musste diese letzte Bemerkung erst verdauen. Zum zweiten Mal war sie geschockt worden. Diesmal noch härter.
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