1737 - Das Blut der Zauberin
waren ihr nicht alle zugetan. Die Hexen mit ihrer Anführerin Assunga hassten sie, und auch der Teufel freute sich nicht eben über ihre Existenz. Selbst die Kreaturen der Finsternis zählten nicht zu ihren Freunden, doch bisher hatte es noch niemand geschafft, sie anzugreifen und ihr eine Niederlage beizubringen.
Das sollte sich auch in der Zukunft nicht ändern, und deshalb musste sie das Blut trinken.
Der Professor schaute ihr zu. Er hatte das Heft aus der Hand gegeben, aus der Hand geben müssen. Er saß in seinem Sessel und wusste nicht, was er denken sollte. Er war Zeuge, aber das Geschehen ging irgendwie an ihm vorbei.
Ihn hatten ganz andere Motive getrieben, nach dieser Zauberin zu suchen.
Er hatte über sie gelesen. Er kannte die alten Geschichten, die Legenden waren, aber er wusste auch, dass diese Legenden wahr wurden. Er wusste nicht mal, aus welcher Zeit genau Serena stammte, manche hielten sie für einen weiblichen Golem, der mit einem besonderen Lebenssaft gefüllt war.
Ludwig Leitner war skeptisch, was dies anging. Deshalb wollte er sie fragen und hoffte, eine Antwort zu erhalten. Das war ihm leider verwehrt, denn er sah, dass diese Blutsaugerin immer weiter leckte. Sie war eine Person, die an Grausamkeit nicht zu übertreffen war, und er spürte in seinem Innern allmählich Furcht aufsteigen.
Den ersten Schnitt hatte sie gezogen. Jetzt richtete sie sich wieder auf und drehte dem Professor ihren Mund zu. An den Lippen klebte Blut. Er bot einen schlimmen Anblick und wurde dann noch widerlicher, als sie grinste.
Das Blut wischte sie nicht ab. Sie zeigte ihre Zunge und umleckte die Lippen. Wie sie das tat, ließ auf eine große Routine schließen. Ihre Augen glänzten dabei, und der Professor sah es als einen Ausdruck tiefer Zufriedenheit an.
Jetzt erst traute er sich, seine Frage zu stellen. »Was hast du mit ihr gemacht?«
»Ich habe mir nur etwas geholt.«
»Ja, ja, ist sie denn endgültig tot?«
»Nein, wo denkst du hin? Sie ist nicht tot. Sie wird bei mir bleiben. Ich werde mir ihr Blut holen, und ich werde erleben, dass ich immer stärker werde. Ja, das ist es, was ich will, und niemand wird mich daran hindern.«
Der Professor hatte einen Einwand. »Aber so wird sie nie überleben.«
»Na und? Ich bin wichtiger.«
»Aber ich habe sie gefunden.«
»Wie auch ich. Es war Zufall, dass wir uns begegnet sind, aber ich bin die Stärkere von uns beiden, und ich lasse mich nicht aus dem Spiel schieben. Und ich sage dir, dass mir auch das Blut der normalen Menschen schmeckt. Und deshalb habe ich mich entschlossen, auch dich in eine andere Existenz zu führen.«
Leitner krampfte seine Hände um die Sessellehnen. »Was soll das heißen?«
Die Cavallo schnippte mit den Fingern. »Denk darüber nach. Schlau genug bist du ja...«
***
Es sah wirklich gefährlich aus, als der Berg auf die Maschine zukam oder auch umgekehrt, doch der Pilot war erfahren genug und lenkte den Flieger routiniert auf die Landebahn zu, die ich sah, als ich mich zum Fenster hin beugte.
Das war mal wieder einer meiner Überraschungstrips. So etwas erlebte ich nicht zum ersten Mal, aber diese schnellen Ausflüge hatten nie mit einem Kurzurlaub zu tun. Wenn mich irgendwelche Hilferufe erreichten, ging es jedes Mal zur Sache.
Damit rechnete ich auch in diesem Fall. Bill Conolly rief nicht grundlos aus dem Urlaub an. Und ich glaubte auch nicht daran, dass er sich getäuscht hatte, was die Entdeckung dieser blonden Bestie Justine Cavallo anging, die mal auf unserer Seite gestanden hatte, aber das lag schon länger zurück.
Was wollte sie hier in den Bergen?
Ich hatte keine Ahnung. Nicht mal eine Vorstellung davon. Ob Bill inzwischen mehr erfahren hatte, wusste ich auch nicht, denn wir hatten nicht mehr miteinander telefoniert.
Jedenfalls war ich gespannt. Justine Cavallo war sicherlich nicht hier in Tirol, um die wunderbaren Berge zu erklettern.
Es sei denn, es steckte ein mörderischer Plan dahinter. Das gehörte bei ihr dazu.
Die Maschine setzte auf. Es rüttelte einige Male, dann rollten wir aus. Ich schaute auf die Uhr, die ich schon um eine Stunde verstellt hatte, und musste zugeben, dass der Pilot eine pünktliche Landung hingesetzt hatte.
Die Conollys wollten mich abholen. Es ging dann in die Berge zu ihrem Urlaubsdomizil, wo kein Tourist mehr an Arbeit dachte. Aber ich war auch kein Tourist.
Der Himmel zeigte sich von seiner schönen Seite, der große Regen hatte eine Pause eingelegt, und ein paar Wolkentupfer
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