1737 - Das Blut der Zauberin
holten in der Lobby ihren Zimmerschlüssel und gingen die Treppe hoch in die erste Etage, wo die kleine Suite lag, die sie gemietet hatten. Zwei Zimmer, ein geräumiges Bad und ein großzügiger Balkon gehörten dazu.
Dort ließen sie sich nieder. Im Kühlschrank stand noch eine kalte Flasche Rosé-Wein, den Bill nach draußen brachte. Dazu zwei Gläser. Sheila schaute zu, wie er einschenkte und sich dann auf den Stuhl setzte.
Beide prosteten sich zu, sie tranken, und Sheila nickte, als sie das Glas abstellte.
»Ich sehe dir an, dass dir so einiges durch den Kopf geht.«
»Tatsächlich?«
»Hör auf, Bill, wir kennen uns lange genug. Und du denkst nicht nur an Justine Cavallo.«
»Ja, sondern auch daran, was sie vorhat.« Er drehte sein Glas auf dem Tisch. »Sie ist eine Vampirin. Sie ernährt sich vom Blut der Menschen, das alles wissen wir. Aber was treibt sie hierher nach Tirol?«
»Keine Ahnung. Und ich will es auch nicht wissen.«
Bill ließ sich von der Antwort nicht beeindrucken. Er sprach aus, was er dachte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Einheimischen und Urlaubern das Blut aussaugen will. Das kann sie einfacher haben. Dazu muss sie nicht nach Tirol fahren.«
»Und was meinst du?«
Bill nippte an seinem Wein. Sein Blick blieb an den steilen Felswänden der Berge hängen. Er verengte die Augen und gab seine Gedanken preis. »Ich kann mir vorstellen, dass sie etwas Bestimmtes sucht. Dass ein für sie wichtiger Grund sie in diesen Ort geführt hat. Oder siehst du das anders?«
»Nein, eigentlich nicht.« Sheila drehte sich zu ihrem Mann um. »Aber ehrlich gesagt, der Grund interessiert mich auch nicht wirklich. Ich will sie vergessen.«
»Ich auch. Nur kann ich das nicht.«
Sheila seufzte. »Das ist ja die Tragik. Zudem ist unser Urlaub nicht mehr der, der er sein sollte. Wir werden die nächsten Tage nicht unbeschwert verbringen können. Und wenn wir abbrechen und wieder fahren, ist das auch keine Lösung.«
»He!« Bill war überrascht. »Was sagst du da?«
»Die Wahrheit. Ich kenne uns doch. Eine Lösung ist das deshalb nicht, weil wir immer an die Cavallo denken würden und uns dann fragen, ob wir alles richtig gemacht haben. Ich will nicht von einem schlechten Gewissen sprechen, aber ich kenne uns.«
»Da würde ich zustimmen.«
Beide schwiegen zunächst, schauten sich allerdings an und schließlich lächelten sie wie auf ein geheimes Kommando hin.
»Sag du es!«, forderte Sheila.
»John Sinclair.«
Sheila stöhnte leise auf. »Dass man nicht mal in Ruhe zu zweit seinen Urlaub verleben kann«, erwiderte sie und gab durch diese Antwort ihre Zustimmung...
***
Beide Männer waren in die Grube gestiegen und standen zwischen Sarg und Wand. Sie reagierten unterschiedlich. Der Professor war ziemlich aufgeregt, das deutete sein heftiges Atmen an. Er hatte sich gebückt und kontrollierte die Stelle, an der die beiden Teile aufeinander trafen.
»Das schaffen wir!«, flüsterte er.
Toni Hellmann sagte nichts. Er war kein ängstlicher Mensch. Wäre er das gewesen, hätte er den Beruf des Bergführers nicht ergreifen können. So etwas wie hier hatte er aber noch nicht erlebt. Dabei hatte er immer gedacht, die Berge und damit seine Heimat zu kennen. Jetzt musste er einsehen, dass dieses Gebirge Geheimnisse barg, an die er im Traum nicht gedacht hatte. Wie hätte er auf den Gedanken kommen sollen, dass es in einer Felshöhle einen Glassarg mit einer Toten gab?
Oder war die Frau nicht tot?
Sie sah so aus, doch er hatte seine Zweifel. Und immer wieder kam ihm die Geschichte Schneewittchens in den Sinn, die ebenfalls in einem gläsernen Sarg gelegen hatte, aber nicht tot gewesen war. Das in die Reihe zu bekommen war für ihn schon ein großes Problem. Er glaubte nicht daran, es lösen zu können.
Der Professor aber war wie aus dem Häuschen, zudem hatte er gewusst, was ihn erwartete. Nur hatte er das Toni Hellmann nicht mitgeteilt, aus guten Gründen, denn der Bergführer hätte ihn für verrückt gehalten, wenn er ihm den wahren Grund der Tour genannt hätte.
Wohl fühlte sich Toni nicht. Ganz im Gegenteil zu Ludwig Leitner. Der Mann pfiff sogar leise vor sich hin und nickte immer wieder, als wollte er sich bestätigen. Den Bergführer schien er vergessen zu haben, bis er plötzlich den Kopf anhob und Hellmann anschaute.
»Das ist geschafft.« Er strich über sein Kinn und räusperte sich. »Jetzt müssen wir versuchen, den Sarg zu öffnen. Sie werden mir dabei behilflich
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