1746 - Der teuflische Jäger
in Deckung der Wand weiter, um so schnell wie möglich in das Büro zu schlüpfen.
Die Tür war zwar geschlossen, aber nicht verschlossen. Sie lag zudem in Höhe der Halle, hatte in der oberen Hälfte einen Glaseinsatz, durch den man das Innere überblicken konnte. Aber man sah auch von draußen, wer sich im Büro aufhielt. Das war nicht in ihrem Sinn, denn Tricia wollte nicht gesehen werden.
Deshalb bückte sie sich und lief so an der Glaswand entlang, die zur Halle hinführte. Sie erreichte den Schreibtisch, der Stuhl stand sitzbereit, und so ließ sich Tricia auf ihm nieder. Trotz ihrer geringen Größe war sie in der Lage, durch die Glaswand einen Teil der Halle zu überblicken. Sie würde also sehen, wenn ihr Vater ins Büro wollte.
Sie ließ ihren Blick über den vollen Schreibtisch schweifen. Die dort liegenden Unterlagen interessieren sie nicht, sie starrte auf das Bild an der rechten Seite, das sie und ihren Vater zeigte. Er hatte seine Arme um sie geschlungen, als wollte er seine Tochter nie mehr im Leben loslassen.
Das zweite Bild zeigte die Familie, als sie noch vollständig gewesen war. Sie als kleines Kind zusammen mit ihren Eltern. Im Hintergrund war ein Leuchtturm zu sehen.
Beide Fotos ließen sie kalt. Was sie in den ersten Jahren erlebt hatte, war vorbei. Sie stand jetzt vor einem neuen Schritt, und den würde sie auch gehen.
Ihr Inneres hatte sich verändert. Es war jetzt von der Kraft der anderen Seite beseelt, und sie war froh, dass sich Victor unter anderem auch sie ausgesucht hatte.
Wieder reckte sie sich, um einen Blick in die Halle zu werfen. Es war genau der richtige Zeitpunkt, denn sie sah ihren Vater mit einem Angestellten auf die Bürotür zukommen, und jetzt wusste sie, dass sie genau richtig gehandelt hatte.
Nur der Mitarbeiter störte sie. Sie wollte mit ihrem Vater allein sein, und so hoffte sie, dass der Mann nicht mit ins Büro kam.
Noch ein paar Schritte, dann hatten die Männer die Bürotür erreicht. Da blieb der Mitarbeiter stehen, er sagte noch einige Worte zu seinem Chef, drehte dann ab und ging weg.
Besser konnte es für Tricia nicht laufen. Sie blieb weiterhin im Sessel ihres Vaters, der nicht in das Büro schaute, sondern auf seine Unterlagen blickte, als er mit der freien Hand die Bürotür öffnete.
Er betrat den Raum, hielt die Klinke noch fest und ging einen kleinen Schritt vor, um die Tür zu schließen. Danach drehte er sich schnell um – und erstarrte.
Seine Tochter sagte nichts, sie ließ ihn einfach nur schauen und beobachtete das Gesicht ihres Vaters.
Dessen Augen waren ebenso weit geöffnet wie sein Mund. Sagen konnte er nichts, nur seinen Atem zuckend ausstoßen. Auch ein leises Stöhnen drang aus seinem Mund.
Es dauerte eine Weile, bis er sich gefangen hatte und auch sprechen konnte. Da aber durchlief sein Gesicht ein Schimmer der Freude, aber den Namen seiner Tochter konnte er nur krächzend aussprechen.
»Du, Tricia?«
»Ja, ich«, erwiderte sie und holte aus der Jackentasche eine Pistole hervor, deren Mündung im nächsten Moment auf ihren Vater wies...
***
Victor Varely war also eine Kreatur der Finsternis. Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte. Es gab keine andere Alternative.
Nicht nur Suko wusste, wie gefährlich ein derartiger Dämon war. Bisher hatte er sich hinter einer perfekten Maske versteckt und erst mal gewartet, bis er einen Plan in die Tat umsetzen konnte. Das war ihm jetzt gelungen, und sein Job hatte die Tarnung eigentlich noch perfekter werden lassen.
»Was hat Varely mit euch gemacht?«, fragte Suko leise.
Silvie grinste breit. »Er hat uns den neuen Weg gezeigt, denn nur so gehört uns die Zukunft.«
»Nein, das ist alles, nur keine Zukunft. Er hat es geschafft, euch in ein Karussell des Grauens zu bringen. Er wollte euch zu Mördern machen. Bei dir hätte es beinahe geklappt. Aber was ist mit den anderen Kindern? Hat er sie auch freigelassen?«
»Rate mal.«
Hinter Suko stand Jane, und sie flüsterte: »Dann wird es Tricia Wells auch so ergangen sein.«
Silvie hob den Blick und lachte. »Ja, auch sie ist frei.«
»Und hat sie auch eine Aufgabe erhalten?«
Das Mädchen stieß einen Fluch aus, der gar nicht zu ihm passte. »Was soll die Frage? Ja, auch sie ist unterwegs. Wir haben unseren Freund gemeinsam verlassen.«
»Nur ihr?«
Die Augen verengten sich. »Was meinst du damit? Victor ist noch geblieben.«
»Da gab es nicht nur euch Mädchen. Wie ich weiß, sind auch zwei Jungen entführt worden.
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