1748 - Im Teufelskreis
diesen grauenvollen Augenblicken keinen Zweifel daran mehr, daß er jetzt und hier sterben würde - gesteinigt von jenen, die er sein halbes Leben lang so verzweifelt gesucht hatte. Die Abruse hatte ihm den allerschlimmsten Tod zugedacht, der sich überhaupt denken ließ.
Hört auf! dachte er verzweifelt. Bitte, macht Schluß! Wir sind alle zusammen gefangen! Wir können uns nur gemeinsam retten!
In seiner Verwirrung meinte er damit sich und das Pseudoleben, und als er Antwort bekam, begriff er es anfangs noch gar nicht. Denn eine leise Stimme sagte zu ihm, daß er zu schreien aufhören solle und daß jetzt alles gut würde.
Erst nach Sekunden merkte er, daß das Gekreisch der Pseudo-Ilts aufgehört hatte. Wer noch schrie, war allein er, aber das hörte nun auch auf. Da auch keine Steine mehr geflogen kamen, wagte er es, sich halb auf die Seite zu drehen und nach oben zu blinzeln.
„Dao?" war sein erstes Wort, als er die unbestreitbar weibliche Silhouette gegen den Himmel sah. „Dao, bist du das?"
„Sehen wir etwa wie Katzen aus?" fragte die zweite Gestalt, die über der Mulde erschien. Die Stimmen kamen aus den SERUN-Empfängern, beide Frauen hatten ihre Raumhelme geschlossen.
„Nadja...", flüsterte Gucky ergriffen. „Mila und Nadja! Ihr... ihr seid es wirklich!" Er kniff die Augen noch einmal zusammen. „Ich kann noch nicht glauben, daß der Alptraum vorbei ist, aber falls doch, Mädels, dann schickt euch der Himmel..."
„So ungefähr", meinte Mila, „kann man es ausdrücken."
Gucky hob den Kopf und sah erst jetzt, was ihm vorhin seltsam vorgekommen war.
Nadja Vandemar hatte nicht als dunkle Silhouette vor einem grellen Himmel gestanden, sondern umgekehrt: als helle Gestalt vor einem finsteren Firmament. Das Licht war von ihrem SERUN ausgegangen.
*
Jetzt waren sie zu dritt.
Gucky stolzierte schon wieder wie ein Feldherr vor den Schwestern auf und ab. Die Zwillinge hatten es sich auf dem harten Eisboden so bequem gemacht, wie es ihre SERUNS zuließen. Sie wollten abwarten, bis sie sich wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte fühlten, denn das Finden und Aufbrechen des ersten Gefängnisses aus Pseudorealität hatte, wie erwartet, einiges an Kraft gekostet. Mila hatte nach längerem Bemühen endlich das Netz erkannt, das aus den insgesamt dreizehn Inseln auf diesem einzigen Planeten gebildet worden war. Sie kannte alle noch existierenden Käfige der Unsterblichen, aus denen sie ohne ihre Hilfe in Millionen von Jahren nicht herausgekommen wären.
Noch waren sie es nicht.
Guckys Pseudoweit hatte sich nach Nadjas Eingreifen ebenso aufgelöst wie die eigenen beiden. Das Geisterhaus erklärte die junge Unsterbliche als eine Erscheinung, die allein auf ihr überreiztes Gehirn zurückzuführen gewesen war.
Sie hockten allein unter einem dunklen Himmel auf einem unheimlichen Planeten. Mila wollte sich noch nicht festlegen, aber sie hatte vorsichtig angedeutet, dies könne wirklich die einzige Welt innerhalb der Sternenballung und der Dunkelwolke sein. Sicher war sie sich dagegen darin, daß der Planet ganz allein um eine Sonne kreiste, deren Licht es nicht schaffte, die Staubwolke bis hierher zu durchdringen - bis auf einen kläglichen Rest.
Also die Welt und der Sitz der Abruse?
Nadja konnte sich nicht vorstellen, daß es so einfach sein sollte. Sollte sich die Abruse so unerhört überlegen fühlen, daß sie ihre gefährlichsten Gegner zu sich holte, statt sie so weit wie möglich fortzujagen? Der Nocturnen-Pulk eins befand sich, mit den Rochenschiffen, dazu noch im Orbit um den Planeten - und damit seine gesamte, hochbrisante Lebensenergie.
Er konnte nur von der Abruse selbst hierherversetzt worden sein.
„Wir wären soweit, Gucky", sagte Nadja, nachdem sie sich lautlos mit Mila verständigt hatte. „Du kannst uns zu Perry bringen."
Der Ilt blieb stehen und sah sie bedeutungsvoll an.
Natürlich wußte er inzwischen, daß er wieder einmal als Teleporter und, wenn schon nicht der des Universums, als Retter der von ES ausgewählten Unsterblichen gefragt war. Sich dessen bewußt zu sein, und sich gleichzeitig wieder so gut wie wiederhergestellt zu fühlen, summierte sich bei ihm immer wieder zu einer delikaten Mischung aus Angabe und Selbstüberschätzung. Vor allem dann, wenn es darum ging, einen bösen Nackenschlag zu verdauen.
„Das klingt aber plötzlich sehr einfach, oder?" fragte er.
Nadja hob die Schultern. „Wir wissen, wo Perrys Trauminsel ist, sein von der Abruse geschaffenes
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