1754 - Blutige Tränen
wissen.«
»Ich bringe dich noch zur Tür«, sagte Bill.
»Okay.«
Von Sheila verabschiedete ich mich mit einer kurzen Umarmung, blieb dann neben meinem Freund, der mich skeptisch anschaute und sagte: »Ich denke, dass wir hier noch einiges zu regeln haben«, sagte er. Dann schüttelte er den Kopf. »Aber es ist wie immer. Wir werden jedes Mal getroffen. Selbst Sheila kann nichts dagegen sagen. Sie hat zugestimmt, dass Serena zu uns kommt.«
»Sie ist auch etwas Besonderes, Bill. Wer hat schon eine lebende Heilige unter seinem Dach?«
»Klar, so kann man es auch sehen. Nur kann ich einfach nicht darüber lachen.«
»Mach dir nichts draus. Es ist ja nicht für immer.«
»Das will ich auch hoffen.«
Nach diesem Satz öffnete ich die Tür und trat hinaus in die winterliche Kälte, die besonders zu spüren war, weil der Wind doch recht stark wehte.
Mein Wagen stand da, wo ich ihn immer abstellte, wenn ich zu den Conollys kam. Eine Eisschicht hatte die Scheiben und das Dach noch nicht bekommen, das war schon mal ein Vorteil.
Ich öffnete die Tür und stieg ein. Müde war ich nicht. Zwar hatte mich das Geschehen schon aufgeputscht, aber das ließ sich locker verkraften. Außerdem war es nicht wirklich spät. Bis zur Tageswende würden noch mehr als zwei Stunden verstreichen.
Vor der Doppelgarage gab es genug Platz, um den Rover zu wenden und in die richtige Fahrtrichtung zu bringen. Das kannte ich, und als ich an Bill vorbei fuhr, der noch vor dem Haus stand, winkte ich ihm kurz zu. Für einen winzigen Moment hatte ich Bills Gesicht gesehen und war nicht begeistert gewesen. Es zeigte einen nicht eben freudigen oder optimistischen Ausdruck.
Den Weg kannte ich im Schlaf. Durch den Vorgarten, dann auf die Straße, auf der in der Nacht kaum Verkehr herrschte.
Ich merkte schon jetzt, dass es nicht einfach werden würde, Ruhe zu finden, denn das, was ich erlebt hatte, wollte mir nicht aus dem Kopf. Ich kam auch jetzt nicht über den Gedanken hinweg, dass wir zu früh ausgestiegen waren. Zumindest galt das für mich. Aber ich war nicht die Conollys, die ja unmittelbar damit zu tun hatten. Ich war in diesem Fall nur so etwas wie ein Mitläufer.
Nun ja, ich war gespannt darauf, wie sich der Fall weiter entwickeln würde, denn dass er bereits einen Schlusspunkt erreicht hatte, daran glaubte ich nicht.
Nachdem ich das Grundstück verlassen hatte, bog ich nach rechts ab.
Ich machte mir meine Gedanken und fragte mich, wohin Lilian Block wohl verschwunden war.
Darauf bekam ich keine Antwort. Es war niemand da, der sie mir hätte geben können, und ich selbst konnte sie mir auch nicht holen.
Also die Fahrt fortsetzen. In der Wohnung noch mal nachdenken. Vielleicht bei einem kleinen Schlummertrunk.
Etwas bewegte sich im Zickzack. Plötzlich war ich aus meinen Gedankengängen herausgerissen worden. Im Licht der Scheinwerfer war es recht deutlich zu erkennen.
Woher die Person so plötzlich gekommen war, wusste ich nicht. Von irgendeiner Straßenseite wohl. Sie hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Sie lief mit schlurfenden Schritten und knickte immer wieder ein.
Das Licht irritierte sie wohl, gab ihr aber auch Hoffnung, denn sie blieb darin.
Ich hatte sie längst erkannt oder glaubte es zumindest. Dieser Mantel war einmalig. Zumindest für eine junge Frau, die nicht mehr konnte und ein paar Schritte lief, bevor sie zusammenbrach.
Ich sah alles sehr genau. Die Szenerie kam mir wie verwandelt vor. Alles lief ganz langsam ab, und im nächsten Moment lag die Gestalt auf dem Boden.
Ich stand mit meinem Rover mitten auf der Fahrbahn. Das war mir auch egal. Ich fuhr ihn nicht zur Seite, stieg aber aus, um mich um die Person auf dem Boden zu kümmern.
Sie lag nicht still. Sie kämpfte. Sie wollte auf die Beine kommen, und es fiel ihr ungeheuer schwer.
Ich stieg aus. Die wenigen Schritte legte ich schnell zurück. Der Atem dampfte vor meinem Mund, ich sank in die Knie und fing die Gestalt ab, die wieder zusammensacken wollte.
Wir befanden uns im Scheinwerferlicht des Rover, aber auch ohne die Helligkeit hätte ich festgestellt, wer da vor mir lag.
Es war Lilian Block, und ich musste zugeben, dass es ihr alles andere als gut ging...
***
Sie lag so, dass ich in ihr Gesicht schauen konnte. Es war verzerrt. Und ich sah noch etwas: frische Blutflecken auf der Haut. Allerdings stammten sie nicht von einem blutigen Tränenwasser.
»Lilian...« Ich sprach ihren Namen mehrmals aus, denn ich wollte nicht, dass sie
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