1754 - Blutige Tränen
ich habe sie gefunden, und es wird Zeit, dass wir so etwas wie eine kleine Macht oder Gegenmacht aufbauen, denn die andere Seite hat nicht aufgegeben. Sie nimmt keine Niederlagen hin, das kann ich dir sagen.«
»Ja, das weiß ich.«
»Gut, John Sinclair. Es sind auch deine Feinde, und wir werden sie bald gemeinsam bekämpfen müssen.«
Das hatte sich angehört wie eine unschöne Prophezeiung. Ich blickte Serena ins Gesicht. Sie war stark und wich meinem Blick nicht aus. Ich mochte sie. Ich mochte ihr Gesicht, ihre Gestalt, eigentlich alles an ihr, und das schien sie auch zu merken, denn sie fing an zu lächeln.
»Wir stehen doch auf einer Seite«, sagte sie leise.
»Ja, das stimmt. Und trotzdem bist du mir ein Rätsel, was du wohl auch immer bleiben wirst.«
»Gräme dich nicht, John Sinclair. Es gibt so viele Rätsel auf dieser Welt, die du nicht lösen kannst. Damit muss du dich abfinden.«
»Ja, das denke ich auch. Aber ich hätte trotzdem gern noch eine Antwort auf eine bestimme Frage.«
»Bitte.«
»Wer ist Lilian Block wirklich? Du kannst jetzt sagen, dass sie ein Mensch ist, das glaube ich dir auch. Aber sie ist kein normaler Mensch. Sie muss einfach mehr sein, denn wer weint schon blutige Tränen? Zu wem gehört sie also?«
»Zu uns.«
Ich verzog das Gesicht. »Und weiter?«
»Nichts weiter. Sie gehört zu uns. Oder zu Menschen, die suchen und erst später den richtigen Weg finden. Tröste dich damit, dass wir auf dem richtigen Weg sind.«
Ich sah sie an. Und ich wusste, dass sie mir nichts sagen würde. Das große Wissen behielt sie für sich.
Ich verließ die untere Ebene des Bungalows. Da war ich nicht der Einzige. In Bills Arbeitszimmer traf ich auf ihn und auf seine Frau. Sheila hielt ein Glas Weißwein in der Hand, Bill genehmigte sich einen doppelten Whisky.
Beide schauten mich an, als ich den Raum betrat. Ihre Blicke waren nicht eben freundlich oder machten Mut.
Mit der freien Hand zeigte Bill auf mich. »John, was wir hier erlebt haben, das finde ich nicht eben lustig. Da hat man uns an der Nase herumgeführt.«
»Du hast nichts gewusst?«
»So ist es. Und Sheila auch nicht. Okay, ich gebe zu, dass wir Serena hergeholt haben, damit sie eine Unterkunft hat, aber ich habe nicht gewusst, dass sie von hier aus ihre Fäden gezogen hat. Anders kann ich mir das Erscheinen dieser jungen Frau nicht vorstellen. Vielleicht hätten wir die Augen besser aufhalten müssen, aber das ist nicht mehr zu ändern.«
»Stimmt.« Ich runzelte die Stirn und sagte: »Sie baut sich eine Hausmacht auf.«
Sheila mischte sich ein. »Muss sie das denn?«
Ich hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Anscheinend ja. Die andere Seite gibt nicht auf. Sie hat sich wieder gesammelt, so sehe ich das. Oder meint ihr, dass Justine Cavallo diese Niederlage einfach hinnimmt?«
Bill hob nur die Schultern.
»Nein, das tut sie nicht«, sagte ich. »Aber wir dürfen nicht vergessen, dass sie stark geschwächt ist.«
Jetzt lachte Bill, und es hörte sich an, als wollte er mich auslachen. »Nein, John, nein, darauf würde ich nicht setzen, auf keinen Fall. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie längst wieder zu Kräften gekommen ist. Ja, das kann ich.«
»Ich nicht.«
»Und warum denkst du so?«
»Wenn sie es tatsächlich wäre«, sagte ich, »dann hätte sie sich schon längst gezeigt. So gut kenne ich sie. Sie würde uns zeigen, dass sie wieder da ist, und ihr Auftritt wäre mit einem Paukenschlag verbunden.«
Es war meine ehrliche Antwort gewesen. Die beiden Conollys mussten erst darüber nachdenken. Sheila kam ihrem Mann mit einer Antwort zuvor.
»Ja, so könnte es sein«, gab sie zu. »Es ist ja alles möglich, und wir sind nirgendwo dabei gewesen. Das möchte ich auch mal festhalten.«
»Eben«, sagte ich und schaute auf die Uhr. »Ich denke, dass ich mich zurückziehe.«
»Ist okay«, sagte Bill und fügte hinzu, »ich denke, dass es für uns alle eine harte Nacht werden wird.«
»Wieso?«
»Nun ja, es wird nicht leicht sein, diese Ereignisse zu verkraften.«
Bill warf einen Blick auf seine Uhr. »Und so spät ist es noch nicht. Da haben wir noch einiges vor.«
Niemand widersprach. Was hier ablief, das war nicht mein Ding. Die Conollys brauchten keine Beschützer, und so bot ich mich auch nicht an, die Nacht hier im Haus zu verbringen.
»Ich werde dann verschwinden«, sagte ich. »Morgen sehen wir weiter, wobei ich nicht glaube, dass sich da großartig etwas getan hat. Aber man kann nie
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