1758 - Zombieland
Sie bestand aus Holz, war krumm und schief, aber die Stufen hielten ihr Gewicht aus, auch wenn sie protestierten und knarrten. Sie erreichte die erste Etage. Dort gab es einen rechteckigen Flur, von dem drei Türen abzweigten. Neben der dritten führte die Treppe weiter nach oben.
Es war keine Umgebung, in der man sich wohl fühlen konnte. So dachte auch Karina Grischin. Ein alter Geruch hing zwischen Decke und Fußboden. Überall waren die Wände beschmiert mit antirussischen Parolen. Die entfernte niemand, denn die meisten Letten hatten nicht viele Sympathien für den großen Bruder im Osten, obwohl der russische Einfluss auch noch heute zu spüren war.
Stimmen oder lautes Geschrei hörte sie nicht. Von oben her klangen die Melodien einer Mandoline. Dort übte jemand, und sie fand es toll. Es lockerte die Atmosphäre hier auf.
Wo hatte Basil gelebt?
Sie suchte nach Klingelschildern, fand aber keine und musste sich auf ihr Glück verlassen. Sie schaute sich die Türen noch mal an und entschied sich für die mittlere.
Karina hielt die beiden Schlüssel in der Hand, bückte sich und schaute sich das Schlüsselloch an. Ja, einer der beiden Schlüssel konnte passen. Es kam auf einen Versuch an.
Der Versuch klappte. Der Schlüssel ließ sich drehen und die Tür ließ sich nach innen drücken. Feuchtkühle Luft schlug ihr entgegen. Sie schaute auf ein Fenster, dessen Scheibe beschlagen war.
Und die Wohnung?
Das Zimmer sah nicht eben aufgeräumt auf. Es lag so einiges herum. Eine Heizung war nicht vorhanden. Wärme spendete ein alter Ofen mit hohem Rohr, aber auch der war kalt.
Sie sah eine zweite Tür und öffnete sie. Zuerst dachte Karina, einen Blick in ein Zimmer zu werfen, dann sah sie, dass es sich um eine breite und nicht sehr tiefe Nische handelte. Sie enthielt auch keine Dusche oder Toilette. Letzteres gab es auf dem Flur zwischen den Etagen, und auch im Hof hatte sie die entsprechenden Türen gesehen, hinter denen die Abtritte lagen.
In der Nische sah sie Kleidung hängen. Nicht viel, was sich da angesammelt hatte. Sommer- und Winterklamotten hielten sich dabei die Waage.
Sie schob alles zur Seite, suchte nach einem Lichtschalter und ging dabei in die Nische hinein. Nur einen kleinen Schritt, der reichte, denn da stieß sie mit der Spitze des linken Fußes gegen etwas Weiches.
Karina zuckte zurück. Sie blieb außerhalb der Nische stehen und blickte nach unten.
Vor ihr lag ein Mensch.
Es war ein Mann. Man hatte ihn in eine Fötus-Stellung gedrückt, und Karina hörte keinen Atem. So ging sie davon aus, es mit einer zweiten Leiche zu tun zu haben.
Um es genau zu wissen, zog sie den Mann aus der Nische und legte ihn davor.
Sie kannte ihn nicht, aber sie wusste aufgrund des Aussehens und der Kleidung, dass es kein Einheimischer war. Das gescheitelte graublonde Haar war gut geschnitten. Ein Gesicht, das nicht nur blass war, denn mitten auf der Stirn zeigte sich ein dunkelroter Punkt. Eigentlich mehr ein Loch, in der eine Kugel steckte.
Karina atmete tief durch. Sie hatte den Mann noch nie in ihrem Leben gesehen. Jetzt begann die gleiche Prozedur wie bei Basil. Sie durchsuchte die Taschen des Anzugs nach Hinweisen auf eine Identifikation, aber diesmal fand sie nichts.
Man hatte den Mann schon gefilzt und ihm abgenommen, was wichtig war.
Damit gab sich Karina nicht zufrieden. Sie ließ auch die Hosentaschen nicht aus, danach nahm sie sich die Jacke vor, denn sie wusste genau, wo sie suchen musste. Gewisse Menschen hatten ihre Kleidung präpariert oder für den Notfall vorbereitet. Das war auch hier so. Im Revers der Jacke fand sie an der Innenseite einen dünnen Reißverschluss. Den zog sie auf, griff mit zwei Fingern in die Öffnung und nickte dabei.
Sie hatte etwas gefunden. Ein kleines, rundes Etui, das entrollt werden musste, was kein Problem war.
Karina fand Geld, was sie nicht interessierte, denn sie las einen Namen.
Rick Brady, London.
Karina Grischin saß erst mal starr. Durch ihren Kopf jagten die Gedanken. Der Mann war Engländer. Er stammte aus London. Jetzt war er tot, und das hatte seinen Grund. Wer erschossen wurde, konnte nicht als harmloser Mensch angesehen werden. Dieser hier war eiskalt erschossen worden. Blattschuss in die Stirn. Das deutete auf Profiarbeit hin, und sie konnte sich vorstellen, dass auch dieser Rick Brady kein Klosterschüler gewesen war.
Ein Engländer.
Sogar einer aus London.
Das brachte Karina Grischin auf eine bestimmte Idee, die auch einen Namen trug –
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