Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
176 - Insel der Fledermäuse

176 - Insel der Fledermäuse

Titel: 176 - Insel der Fledermäuse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
Vom Netzwerk:
und übersichtlicher gewesen als hier…
    War es das denn wirklich?
    Sie erinnerte sich an Nosfera, Taratzen und Guuls, rief sich die Bilder von Izeekepiren, Eluus und Gejagudoos ins Gedächtnis. Würde ein hier Geborener denn nicht ähnlich wie sie empfinden, wenn er sich durch Euree bewegen musste?
    Aruula nahm Chaang mit sich, verdeckte ihm mit dem Körper den Blick auf den schrecklich verunstalteten Chabilay.
    »Du hast uns nicht alles über die Neen Lobon erzählt«, sagte sie, um den Jungen abzulenken, während sie hügelan marschierten.
    »Habe ich doch«, erwiderte Chaang heftig, »ihr habt bloß nicht aufmerksam zugehört!«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich habe es in euren Blicken und in eurem Tonfall bemerkt.« Er riss sich von Aruula los und marschierte nun vor ihr her. »Ihr findet nicht den richtigen Glauben, das ist es!« Versöhnlicher fuhr er fort: »Als ich in den Stamm der Mooken aufgenommen wurde, wollte ich viele Dinge ebenfalls nicht akzeptieren. Aber es gibt die Neen Lobon wirklich , und sie beschützten stets unser Volk. Wenn sie nun von den Batangs oder anderen unheiligen Wesen von dieser Insel vertrieben wurden, dann bedeutet das unseren Untergang…«
    Er sprach voll Inbrunst, und es war ihm anzusehen, dass er am liebsten drauflos geplärrt hätte. Er war eben doch noch ein Knabe. Das Erwachsensein in dieser verfluchten Welt erforderte nicht nur, sich selbst und den Freunden zu beweisen, dass man körperlichen Schmerz ertragen konnte. Es bedeutete auch, mit all den Schicksalsschlägen fertig zu werden, die das Leben mit sich brachte.
    »Wenn die Ahnen nicht mehr auf dich aufpassen, dann rate ich dir, von nun an ebenso auf den Weg zu achten wie wir«, ließ sich Yngve vernehmen.
    »Das werde ich«, versprach Chaang.
    Es klang unendlich traurig. Alle Leichtigkeit, alle Unbeschwertheit war mit einem Mal aus seinem Leben gewichen.
    ***
    Sie kamen nun rascher voran. Das Dschungelgrün lockerte ein wenig auf; Blattwerk und Niedriggewächse wichen immer weiter vom Weg zurück. Seltsame Zeichen waren in ebenso seltsame, von blutroter Borke gezeichnete Bäume geritzt.
    »Wünsche an die Ahnen«, sagte Chaang einsilbig, als Aruula ihn darauf ansprach.
    Von Zeit zu Zeit zweigten kleinere Trampelpfade nach links und rechts ab. Die Lust, vom Hauptweg abzuweichen, war ihnen nach dem schrecklichen Ende Chabilay Tihms allerdings vergangen. Umso mehr, als Chaang ihnen vehement verbot, sie zu betreten.
    »Wenn ihr die Familienname der Neen Lobon betretet«, sagte er, »entehrt ihr die lebenden Mitglieder. Egal, ob die Geister die Insel verließen oder nicht –Fremde haben in diesen intimsten aller Stätten nichts zu suchen.«
    Aruula und Yngve akzeptierten das wortlos. Sie wussten genug über Tabus, um sie zu respektieren.
    »Wir betreten nun den Heldenwald«, sagte Chaang nach einer Weile. Zögerlich und mit vor Angst gebeugtem Rücken tat er die letzten paar Schritte eine kleine Anhöhe hinauf. Hier wurde das Gelände flacher. In einer von vielen Lichtstrahlen und Reflexen erhellten Hochebene standen schmalblättrige Bäume in weitem Abstand zueinander, vielleicht fünfzig bis siebzig Stück.
    Sie wuchsen hoch hinauf, vielleicht doppelt so hoch wie alle anderen, die sie bislang passiert hatten.
    »Es ist fast so, als hätten die Bäume Respekt voreinander«, sagte Yngve, der neben Aruula trat.
    »Die Luft ist hier auch viel frischer, und alles scheint so friedlich«, ergänzte sie leise. »Merkst du, dass es hier keine Schlinglianen gibt? Auch keine Farne oder sonstigen Bodengewächse. Die Vögel in den Ästen, sie zwitschern viel… fröhlicher.«
    »Allmählich verstehe ich Chaangs Respekt vor den Neen Lobon.« Yngve trat neben den ersten Ahnenstab, den sie zu Gesicht bekamen; berührte ihn aber nicht. Er war oberschenkeldick und fast doppelt so groß wie der Noorwejer. Ein respektheischendes Gesicht, mit unglaublicher Fingerfertigkeit geschnitzt, sah auf sie beide herab. Der Mund war geöffnet und zeigte lange angespitzte Zähne; in den Wangen befanden sich mehrere kleine und große Löcher oder Öffnungen. Das Holz war dunkel, fast schwarz.
    »Wunderschön«, sagte Aruula beeindruckt.
    »Ich sehe keinen einzigen Schädling auf diesem Neen Lobon.« Prüfend betrachtete Yngve den Ahnenstamm von allen Seiten.
    Chaang hatte sich auf den Bauch gelegt und vollzog seltsame Rituale. Mit hoher Stimme variierte er eine Litanei von scheinbar unzusammenhängenden Silbenlauten, schüttelte die Arme aus, legte sich

Weitere Kostenlose Bücher