1765 - Der Schattenprinz
weiß, das für uns interessant ist. Man kann sie auch als ein Phänomen bezeichnen.«
»Warum?«
»Weil sie so alt ist.«
»Klar, Bill, jeder...«
»Lass mich ausreden, Alter.« Bill grinste. »Die Nonne, die Dahlia heißt und im Hospiz liegt, ist bestimmt zweihundertfünfzig Jahre alt. So, und jetzt bist du dran.«
Das hatte sich mein Freund Bill so vorgestellt, aber ich musste ihn enttäuschen. Ich saß da und tat erst mal nichts, abgesehen davon, dass ich ab und zu einen Schluck Kaffee trank.
»Zweihundertfünfzig Jahre alt, sagst du?«
»Genau.«
»Und jetzt liegt sie im Sterben?«
»Ja, das hörte ich von der Nonne, mit der ich bekannt bin. Schwester Dahlia wird nicht mehr weiterleben können.«
»Irgendwann ist für jeden Schluss«, sagte ich. »Aber ich frage mich, warum sie so alt geworden ist. Oder ist die Luft da im Kloster besonders gut?«
»Keine Ahnung. Jedenfalls lässt auch gute Luft keinen Menschen so alt werden.«
»Dann muss es einen anderen Grund geben«, sagte ich.
»Ja.«
»Hast du dir darüber Gedanken gemacht?«
»Ja.«
Ich war gespannt. »Und welchen?«
»Sie ist im Kloster so alt geworden. Sie hat immer dort gelebt und wurde von Generation zu Generation übernommen.«
Ich sagte nichts, sondern schaute Bill nur an.
Er musste lachen. »Ja, es stimmt, Alter. So ist es. In dem Kloster gab es eine Frau, die so alt war.«
»Und das wurde akzeptiert?«
»Muss wohl.«
Ich schüttelte den Kopf. Irgendetwas musste ich sagen, aber das fiel mir schwer. Bill war davon überzeugt, und ich fragte ihn: »Wie ist es möglich, dass sie so lange gelebt hat?«
»Keine Ahnung. Aber man hat wohl gesagt, dass sie unter einem besonderen Schutz steht.«
»Okay«, dehnte ich, »unter wessen denn?«
»Das weiß ich auch nicht.«
»Was weißt du denn noch?«
»Das, was ich dir gesagt habe, John. Und ich bin froh, dass die andere Nonne mir gegenüber so offen gewesen ist. Die kenne ich. Oder vielmehr Sheila kennt sie besser. Sie hat vor Jahren mal in Johnnys Schule ausgeholfen. Da sind Sheila und sie ins Gespräch gekommen, zudem wurde ein wenig aus dem Nähkästchen geplaudert, und Sheila hat der Frau vertraut. Sie wusste dann, wer wir waren und für was wir uns interessierten. Sheila sagte mir, dass ihr die Nonne damals erklärt hätte, dass sie auf sie zurückkommen würde, wenn sie mal ein bestimmtes Problem hätte, das in eine ebenfalls bestimmte Richtung lief.«
»Wie in diese jetzt.«
»Genau, John. Zweihundertfünfzig Jahre alt. Das ist schon eine Menge Holz.«
»Wenn es stimmt«, sagte ich.
»Alles klar, das meine ich auch. Ich habe mir bisher den Beweis noch nicht anschauen können. Das werde ich aber machen oder sollte ich tun. Deshalb werde ich die Nonne anrufen, die damals in Johnnys Schule unterrichtet hat.«
»Tu das. Und dann?«
»Werden wir beide wahrscheinlich in das Hospiz fahren und versuchen, mit ihr zu reden, mehr können wir nicht tun.«
»Okay, versuche es, Bill.«
Ich wusste nicht so recht, was ich dazu sagen sollte. Es war alles ein wenig kompliziert und auch schwer zu glauben. Dennoch rechnete ich damit, dass man uns nicht angelogen hatte. Ich wusste ja Bescheid. Es gab so viele Dinge, die am Anfang so unerklärlich aussahen und sich später bestätigten.
Eine Frau, die seit mehr als zweihundert Jahren lebte, das war schon ein Hammer. Wer schaffte das?
Ein normaler Mensch nicht, aber es gab auch noch andere Menschen, die den Namen nicht verdienten. Ich dachte dabei an Vampire, an bestimmte Dämonen, die sich hinter einer Maske verbargen und sich Kreaturen der Finsternis nannten.
Ja, so musste man denken, um sich diesem unglaublichen Alter zu nähern.
Bill war im Arbeitszimmer geblieben. Ich hörte, wie er telefonierte, verstand aber nicht, was er sagte, bis er lauter sprach und davon redete, dass er genau heute etwas unternehmen wollte. Dass es morgen vielleicht zu spät sein könnte.
Schließlich war die Sache erledigt. Er kam wieder zurück. Ich entdeckte alles andere als einen freudigen Ausdruck in seinem Gesicht. »Es würde heute zu spät werden. Ich sollte es morgen noch mal versuchen.«
»Wer hat das gesagt?«
»Schwester Liz.«
»Wer ist das denn?«
»Eigentlich meine Verbündete. Sie hat durch ihren Bericht erst alles in Bewegung gebracht. Ich weiß auch nicht, warum sie sich so dagegen gestemmt hat.«
Bills Handy meldete sich mit weichen Tönen. Er hob ab und lachte.
»Ach, Sie sind es, Schwester Liz.« Eine Pause entstand, dann sagte
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