1765 - Der Schattenprinz
überzeugt, dass ich mich nicht geirrt habe.«
Bill fragte: »Um was handelt es sich denn?«
Die Antwort erfolgte spontan. »Um zwei verschorfte Bissstellen an der linken Halsseite der Frau.« Sie schloss den Mund und nickte.
»Und weiter?«
Liz verdrehte die Augen. »Bitte, Mister Conolly, denken Sie doch mal nach. Zwei Bissstellen am Hals!«
»Ja, das habe ich schon verstanden.«
»Und denken Sie auch einen Schritt weiter? Kann man da nicht von Vampiren sprechen?«
»Meinen Sie?«
»Ja, sonst hätte ich Sie nicht geholt. Das ist der Grund, wenn ich ehrlich bin.«
»Ist sie denn ein Vampir?«
Die Krankenschwester starrte mich an. »Gute Frage, daran habe ich auch gedacht! Aber ich weiß nicht, ob es sich bei ihr um einen Vampir handelt. Zu einem Vampir gehört ja mehr als zwei alte verschorfte Wunden.«
»Ja, die entsprechenden Zähne.«
»Genau, Mister Sinclair, und die fehlen. Sie können in den Mund hineinschauen, die Zähne sind nicht da. Aber die Frau ist über zweihundert Jahre alt, hat man gesagt, und ich frage mich jetzt, wie das alles zusammenpasst.«
»Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Da ist es wohl von Vorteil, wenn wir mit der Frau selbst reden. Ist sie dazu überhaupt noch in der Lage?«
»Ich hoffe.«
Bill wollte noch etwas wissen. »Hat sie vielleicht etwas davon erwähnt, wie sie zu einem Vampir geworden ist? Ich gehe mal davon aus, dass dem auch so ist.«
Die Krankenschwester zeigte ein betrübtes Gesicht. Sie antwortete mit leiser Stimme: »Manchmal hat sie ja geredet. Da sprach sie von einem Schattenprinz, der immer ihr Freund war und ihr zur Seite gestanden hat.«
»Den Begriff höre ich zum ersten Mal«, sagte Bill, wobei er mich noch anschaute.
»Ja, ich auch.«
Ein interessanter Name, mit dem wir allerdings nichts anfangen konnten. Ich wollte auch nicht lange hier stehen bleiben und schlug vor, doch mal in das Hospiz zu gehen.
»Vorsicht!«, sagte Liz schnell. »Wir müssen achtgeben, dass wir nicht entdeckt werden. Man hat nicht gern fremde Besucher, die sich nicht angemeldet haben. Deshalb müssen wir einen anderen Eingang nehmen.«
»Dagegen haben wir nichts«, sagte Bill.
»Dann kommen Sie bitte.«
Wir standen fast am Ende des Hauses. Man hätte aus dem letzten Drittel des Grundstücks einen Garten mit gepflegten Wegen machen können, doch darauf hatte man verzichtet. Es war zwar keine Müllkippe zu sehen, aber die großen Abfalltonnen hätten mal geleert werden können.
Einen Weg gab es auch. Er war nur zum Teil mit Asphalt bedeckt. Es gab genügend freie Stellen, sodass das Unkraut wuchern konnte.
Mich interessierte das alles nicht. Ich hatte meinen Blick auf die Tür gerichtet, die wir ansteuerten. In ihrer Nähe waren die Abdrücke von Reifen auf dem Boden zu sehen. Dieser hintere Teil des Hauses wurde wohl recht oft angefahren.
Liz deutete nach vorn. Es war der direkte Weg zur Tür, den wir schnell hinter uns hatten. Die Krankenschwester holte einen Schlüssel hervor, legte noch mal einen Finger auf die Lippen, um uns klarzumachen, wie wir uns verhalten sollten, dann erst durften wir das Gebäude betreten und befanden uns in einem Bereich, in dem es nach Küche und auch nach einigen Putzmitteln roch.
Bill schloss die Tür hinter uns. Ich wollte wissen, ob wir in die beiden höheren Etagen mussten. Das war nicht der Fall. Wir konnten in der Parterre-Ebene bleiben und waren weiterhin von fremden Gerüchen umgeben.
»Gehen Sie vor, bitte«, sagte ich.
Sie nickte und setzte sich in Bewegung. Hier unten war es dämmrig. Das Licht sickerte durch Öffnungen in den Wänden, die Glasbausteine zeigten. Verschiedene Türen zweigten ab. Ich fragte nicht, was alles hinter ihnen lag.
Wir gingen durch eine Tür und erreichten so etwas wie ein Treppenhaus, das recht eng war. Da hatten sich auch die Stufen anpassen müssen.
Wir hätten auch noch eine Etage tiefer in den Keller gehen können, aber da war nichts. Früher hatte man dort die Toten aufbewahrt. Heute wurden die Verstorbenen immer sehr schnell abgeholt.
Auch hier hatte Liz den Vortritt. Es roch nach irgendwelchen medizinischen Tinkturen oder Mitteln, sodass man jetzt wirklich das Gefühl haben konnte, in einem Krankenhaus zu sein.
Wir gingen weiter. Es wurde heller durch schmale Seitenfenster, dann erreichten wir eine Tür, die wohl wichtig war, denn die Krankenschwester hielt dort an.
»Die Frau liegt auf dieser Etage in einem der wenigen Einzelzimmer.«
»Das ist gut«, lobte Bill. »Wie sieht es denn
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