1778 - Das Wappen der Medusa
Schlangen. Ob er an die Legende der Schlangenköpfigen dachte, das wusste sein Bruder nicht, er spürte nur, dass sich innerhalb des Wappens etwas tat. Er hielt es fest, und er nahm das Vibrieren innerhalb des Metalls wahr, das auf seine Hände überging. Ebenso wie die Wärme, die plötzlich aus dem Material hervorströmte.
Und er hörte den Bruder.
Georgis schrie. Es konnte auch ein Lachen sein, so genau war es nicht zu unterscheiden. Aber wer ihn dabei anschaute, der musste davon ausgehen, dass er nicht mehr fröhlich war, denn er hatte seine Augen weit aufgerissen. Das Gesicht war verzerrt. Er musste einen irren Schmerz erleiden. Aus seinem Mund floss Speichel über die geöffneten Lippen.
Kristos schoss das Blut in den Kopf. Plötzlich hatte er Angst um seinen Bruder. Er beugte sich vor und schaute an seinem Schild entlang nach unten.
Der Kreis glühte.
Und das Gesicht glühte auch.
Das war auch für ihn neu, aber ihm war jetzt klar, dass die Medusa noch existierte. Sie hatte ihre Macht in ihrem Wappen hinterlassen.
Und der Bruder?
Wer sie ansieht, wird zu Stein! So stand es geschrieben. So wurde es immer wieder behauptet, obwohl niemand so recht daran glaubte.
Kristos Kabenis schluckte. Er schaute auf seinen Bruder, der sich nicht bewegte. Er stand in einer etwas vorgebeugten Haltung. Sein Gesicht zeigte noch den fast hasserfüllten Ausdruck, in den sich aber auch der einer Angst hineingeschlichen hatte.
»Georgis...«
Keine Reaktion.
Auch nach einem erneuten Anruf reagierte der Mann nicht. Und da endlich war es Kristos klar. Nun wusste er Bescheid. Der alte und böse Zauber war noch nicht vorbei. Er existierte noch. Hier hatte jemand einen Schlangenkopf angeschaut.
Er war – er war...
Kristos wollte nicht mehr weiter denken. Aber er brauchte nur einen Blick auf seinen Bruder zu werfen, um zu wissen, dass er sich nicht geirrt hatte.
Georgis stand da wie ein Denkmal. Er war auch nicht mehr in der Lage, ein Wort zu sagen, aus seiner Kehle würde kein Laut mehr kommen.
Kristos flüsterte den Namen seines Bruders. Natürlich erhielt er keine Antwort.
Dann ließ er das Wappen fallen und ging auf seinen Bruder zu. Die Strahlen der Sonne spürte er wie harte Stiche. Er kam Georgis immer näher und sah jetzt sein Gesicht viel besser.
Da regte sich nichts mehr. Er atmete auch nicht. Die Finger seiner Hände standen ab wie bei einem Gichtkranken. Sein Blick war nach vorn gerichtet, ohne jedoch etwas erkennen zu können, denn in den Augen war kein Leben mehr.
Kristos Kabenis trat noch dichter an seinen Bruder heran. Jetzt konnte er ihn berühren, aber er zögerte noch.
»Du kannst nichts mehr sagen – oder?«
Georgis schwieg.
Dafür bewegte sich Kristos. Er hatte sich jetzt überwunden und streckte seinen rechten Arm aus. Das Gesicht war ihm wichtig, und dort die rechte Wange.
Die berührte er.
Und zuckte zurück!
Er hatte keine Haut angefasst, sondern eine harte Masse. Wie hieß es doch? Wer sie anschaut, wird zu Stein.
Und sein Bruder Georgis war tatsächlich zu Stein geworden und in dieser für ihn seltsamen Haltung auch gestorben. Das Erbe der Medusa hatte dafür gesorgt.
Kristos Kabenis stand vor der Figur, die mal sein Bruder gewesen war, und wusste nicht, was er tun sollte. Er war nicht mehr in der Lage, irgendwelche Gedanken zu fassen.
Er hatte es gewusst, vielleicht sogar gehofft, doch jetzt, wo er mit der Wahrheit konfrontiert worden war, wurde ihm allmählich klar, welche Verantwortung er auf sich geladen hatte.
Er war jetzt mächtig. Er war derjenige, der nun das Sagen hatte, und das freute ihn natürlich, obwohl er wusste, dass er damit zu einem Einzelgänger werden und keine Freunde mehr haben würde. Deshalb musste er das Wappen als einen Fluch empfinden.
Aber abgeben wollte er es auch nicht. Zu lange hatte er dafür gekämpft. Er musste sich etwas anderes einfallen lassen. Auf jeden Fall wollte er das Erbe vor gierigen Blicken verbergen und es nur dann wieder hervorholen, wenn es nicht anders ging.
Ja, so würde er es machen, wobei er sich fast schon wünschte, dass man die Medusa vergaß.
Aber so einfach war es nicht...
***
Die Kollegen hatten einen Film gedreht, den sie uns geschickt hatten. Allerdings ohne Ton, sonst hätten wir das Rauschen des Bachs gehört, der munter durch die Landschaft floss und kreative Menschen sicherlich dazu anregte, die Eindrücke in einen Liedtext zu fassen, in dem der Bach die Hauptrolle spielte.
Bei uns allerdings nicht. Da spielte ein
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