1792 - Die Nachtjägerin
der Mann nach. Und er dachte an seine Angst, die in ihm hochgestiegen war. Sie hatte ihn erwischt, denn die Frau hielt eine Waffe in der Hand. Es war eine mit einem Schalldämpfer versehene Pistole, deren Metall grün schimmerte.
Sie sagte nichts. Sie stand einfach nur da und schaute ihn an. Aber sie stand so, dass sie ihm den Rückweg versperrte. Er hatte das Gefühl, dass er nicht an ihr vorbeikam, wenn sie es nicht wollte.
Und so blieb er stehen. Er überlegte, und durch seinen Kopf rasten die Gedanken wie scharfe Stiche. Eine schreckliche Zukunftsvision schoss durch seinen Kopf. Er sah sich selbst als einen Gefangenen, mit dem man kurzen Prozess gemacht hatte. Da lag er tot vor den Füßen dieser Gestalt.
In ihrem schwarzen Kleid sah sie aus wie ein Gespenst der Nacht. Man konnte sie auch als unheimlich bezeichnen. Ihre Haut wirkte dabei irgendwie kristallin.
Sie wartete auf etwas. Oder wollte sie etwas verhindern? So deutlich wusste Jeb Fisher nicht Bescheid. Er machte sich riesige Vorwürfe, das Büro verlassen zu haben.
Und jetzt?
Er konnte nicht stehen bleiben. Es musste endlich etwas passieren. Wenn der Zweitkörper es nicht tat, dann wollte er die Dinge in die Hände nehmen.
Erst mal verschwinden.
Der Friedhof bot genügend Platz und auch genügend Verstecke. Aber daran dachte er nicht. Er wollte zurück in sein Büro. Deshalb ging er vor.
Den ersten Schritt setzte er, dann den zweiten, und er ließ die Gestalt nicht aus den Augen. Sie tat nichts. Sie ließ ihn gehen.
Er schluckte. Sollte er sich geirrt haben? Vielleicht wollte die Erscheinung gar nichts von ihm. Dieser Gedanke wurde immer stärker in ihm. Deshalb dachte er auch nicht daran, nach rechts oder links auszuweichen, er ging geradeaus wie jemand, der dieser Frau die Hand geben wollte.
Das tat er nicht. Daran dachte er nicht mal im Traum. Er wollte die Person nicht berühren, nicht mal streifen, er wollte nur an ihr vorbei und sie nicht mehr ansehen müssen.
Noch drei Schritte, dann befand er sich mit ihr auf gleicher Höhe. Für einen Moment verspürte er den Drang, stehen zu bleiben und sie anzufassen, dem aber widerstand er und ging weiter.
Vorbei! Ja, ich bin vorbei!, so schoss es durch seinen Kopf. Ich kann meinen Weg gehen.
Und er ging ihn auch. Er musste nur aufpassen, dass er nicht anfing zu rennen. Nichts sollte darauf hindeuten, wie er sich fühlte. Er musste sich unter Kontrolle haben.
Und er setzte seinen Weg fort. Aber er wollte es noch einmal riskieren und einen Blick zurückwerfen.
Jeb Fisher blieb stehen. Er holte tief Luft. Er schloss für einen winzigen Moment die Augen und drehte sich dann um.
Er sah die Erscheinung. Sie stand noch immer am selben Ort. Aber es hatte sich bei ihr etwas getan, denn sie hatte sich umgedreht, und so schauten sich die beiden wieder an. Und es gab noch eine Veränderung.
Die Erscheinung hatte den rechten Arm angehoben. Die grüne Waffe zielte jetzt genau auf Jeb Fisher. Abgedrückt hatte die Person noch nicht. Aber sie würde es tun, da war sich Fisher sicher. Sie tat es noch nicht, weil sie ein wenig mit seiner Angst spielen wollte.
Wehren! Du musst dich wehren!
Das war die innere Stimme, die er plötzlich hörte und auf die er hörte. Mit einer langsamen Bewegung hob er den rechten Arm und drehte die Hand so, dass die Fläche auf die Erscheinung zeigte.
»Bitte, was immer du vorhast, lass es nicht geschehen. Ich habe dir nichts getan. Ich habe nicht mal etwas von dir geahnt. Ich habe mir nicht vorstellen können, dass es dich überhaupt gibt. Warum willst du mich töten?«
Sie gab keine Antwort.
Fisher überlegte fieberhaft. Hatten seine Worte die Gestalt überhaupt erreicht? Er wusste es nicht. Er sah nur die Mündung der Waffe auf sich gerichtet.
Dann ging er den ersten Schritt – und hörte den ersten Schuss. Er sah noch den Mündungsblitz und spürte den Einschlag. Die Wucht ließ ihn nach hinten taumeln, und er befand sich noch in der Bewegung, als ihn die zweite Kugel traf. Die erwischte ihn weiter unten. Er hatte das Gefühl, am unteren Körper zerrissen zu werden. Der Schmerz war allumfassend, aber er war nichts gegen die Dunkelheit, die über ihn kam und das Reich der Toten für ihn öffnete …
***
Es war keine positive Botschaft, die wir von Irina Dark gehört hatten. Wenn ihr Zweitkörper selbstständig war, dann konnte er auch selbstständig handeln, und so etwas als positiv einzuschätzen, das fiel mir verdammt schwer.
Diese Erscheinung hatte jetzt freie
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