1792 - Die Nachtjägerin
Bahn und konnte morden, wo immer sie wollte.
»Sind Sie davon überzeugt, dass sie den Weg des Blutes einschreiten wird? Dass sie Leichen hinterlässt?«
»Ja.«
»Und weiter?«
Irina hob die Schultern. »Sie ist schlau, sie ist gerissen, und ich denke, dass sie bis zur Nacht warten kann. Die Dunkelheit ist ihre Welt. Sie wird dann zu einer Nachtjägerin. Davon bin ich fest überzeugt.«
»Nachtjägerin«, wiederholte ich. »Das hört sich nach Töten an.«
»Sehr richtig.«
Ich sagte erst mal nichts und schaute Irina nur an. Wenn ich ehrlich war, dann wunderte ich mich über sie und über ihr Wissen. Das war schon ungewöhnlich. Hinter ihr steckte mehr, davon ging ich jetzt aus.
Es war in der Umgebung warm geworden. Eine Temperatur, die müde machte. Ich wollte bald wieder nach draußen gehen, aber zuvor musste ich noch eine Frage loswerden.
»Sie kennen sich aus, wenn ich mir Ihre Antworten so anhöre. Das ist ungewöhnlich.«
»Das kann sein.«
»Mehr wollen Sie dazu nicht sagen?«
»So ist es.«
Ich konnte sie nicht zwingen. Meine Sympathie für sie hatte einen nicht eben kleinen Riss bekommen. Irina Dark wusste mehr, als sie zugab. Wer war sie wirklich?
Ich überlegte, ob ich sie wieder mit dem Kreuz konfrontieren sollte. Nein, so auffällig wollte ich mich nicht benehmen. Ich blieb locker. Und als ich Sukos scharfen Blick bemerkte, ging ich davon aus, dass er ähnlich dachte wie ich.
»Sie zieht es aber nicht zu irgendwelchen Leichen hin«, sagte ich und lächelte dabei.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Das ist ganz einfach. Ihr Zweitkörper hat es getan, und da dachte ich, dass Sie ihm folgen werden, um herauszufinden, was er da wollte.«
»Nein, da müssen Sie keine Angst haben. Aber ich kann mir vorstellen, dass Sie wissen möchten, wo sich mein Zweitkörper herumtreibt.«
»Ja, damit wäre viel gewonnen.«
»Ich weiß es einfach nicht. Aber ich kann mir vorstellen, dass die Nacht für sie sehr interessant ist.«
»Wieso?«
»Da ist sie immer losgezogen. Auch beim letzten Mal. Eine Nachtjägerin, das sagte ich bereits.«
»Ja, ich habe es behalten.« Mein Nicken fiel locker aus. Allmählich kam ich mir vor wie auf einer kleinen Bühne. Nur fehlte mir die Luft, um mich hier wohl zu fühlen, und Suko dachte ebenso wie ich. Er war bereits auf dem Weg zur Tür, um ins Freie zu treten. Wenn Irina Dark von einer Nachtjägerin gesprochen hatte, dann hatten wir Zeit, denn es dauerte noch, bis die Dunkelheit über das Land fiel.
Suko hatte das Haus schon verlassen. Irina und ich folgten langsamer.
Wir sprachen es nicht aus, aber wir wunderten uns schon darüber, dass von Jeb Fisher nichts zu sehen war.
»Wollte er nicht auf uns warten?«, fragte Suko.
»Davon hat er nichts gesagt.«
»Das ist schon komisch.«
Ich wandte mich an Irina. »Wissen Sie mehr über ihn?«
»Nein, ganz und gar nicht. Wir kannten uns nicht. Wir haben uns erst heute kennengelernt.«
»Aha.«
Mein Gefühl wurde immer unguter. Auch Sukos Gesicht sah nicht eben glücklich aus. Er schaute sich um, sah nichts von Fisher, und rief seinen Namen. So weit konnte er ja nicht gegangen sein.
Seine Stimme verhallte auf dem Friedhof. Eine Antwort bekam er allerdings nicht.
»Der hat Sie nicht gehört«, sagte Irina Dark zu Suko.
»Meinen Sie?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Was sonst?«
»Ja, aber es ist auch möglich, dass er mich gar nicht mehr hören kann«, murmelte Suko.
»Ach!« Sie musste schlucken. Dann wieder ihre Stimme, diesmal leiser. »Sie meinen, dass er nicht mehr lebt und womöglich umgebracht worden ist?«
»Ich schließe nichts aus.«
»Und von wem?«
»Da müssen Sie gar nicht so lange suchen«, mischte ich mich ein. »Ihr Zweitkörper ist unterwegs.«
»Aber mordend?«
»Können Sie das sagen?«
»Nein. Aber das kann ich nicht glauben.«
»Warum nicht?«, wollte ich wissen.
»Es ist ganz einfach. Mein Zweitkörper hat sich für die Tote interessiert, nicht für Lebende.«
»Darauf würde ich aber nicht wetten«, sagte ich und winkte ab. »Alles kann sich schnell ändern.«
Und wie schnell, das erlebten wir in den folgenden Sekunden, denn da hörten wir Sukos Stimme, die sogar recht weit entfernt von uns erklang. Er hatte sich klammheimlich aus dem Staub gemacht.
Aber die Richtung war klar, und ich startete sofort. Ob Irina mir folgte, war mir egal. Mich interessierte jetzt einzig und allein Suko, der leicht gebückt stand, nach unten blickte und auch nicht hoch schaute, als er meine Schritte
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