1797 - Das zweite Ich der Laura Dern
war ihr klar, aber sie riss sich zusammen.
Sie blieb des Öfteren stehen, um nach den Verfolgern zu sehen. Sie tauchten noch nicht auf, doch ihre Stimmen waren zu hören. Auch nicht immer, sondern nur hin und wieder, wenn sie sich neue Kommandos gaben.
Sie liefen in Lauras Richtung. Das war für sie keine Überraschung. Sie musste nur besser sein als die Meute. Den Hochsitz zu erreichen war nicht einfach. Er stand nicht auffällig im freien Gelände, sondern dort, wo ein Waldstück anfing oder aufhörte. Am Rand zwischen den Bäumen ragte er in die Höhe. Um ihn zu erreichen, huschte Laura von der Rückseite her auf den Hochsitz zu. Dort gab es auch den Aufstieg, eine Leiter aus Holz, die schräg nach oben führte. Vor ihr blieb die Schauspielerin stehen.
Zum ersten Mal seit Längerem zuckte ein Lächeln über ihre Lippen. Mit dem Handrücken wischte sie den Schweiß weg. Sie lehnte sich zurück, um besser an der Seite in die Höhe schauen zu können. Sie sah die Trittbalken, die einen grünen Belag hatten, zog an zwei von ihnen und prüfte so ihre Festigkeit.
Es war alles okay. Sie würden ihr Gewicht halten. Über ihre Lippen huschte ein Lächeln. Dass sie die Stimmen der Verfolger nicht mehr hörte, gab ihr zusätzlichen Mut.
Dann kletterte sie hoch. Sie war schnell, gelenkig, und sie erreichte die kleine Bank auf dem Hochsitz.
Ein Dach aus Holz schützte etwas gegen Regen oder Schnee, und hinter den brusthohen Wänden konnte man sich verbergen.
Laura setzte sich nieder. Andere Menschen hätten ihr vielleicht geraten, sofort wieder zu verschwinden, denn hier befand sie sich eigentlich in einer Falle.
Wer sie entdeckte, der konnte sie hier festnageln. Man brauchte unten nur stehen zu bleiben und zu warten. Das war es dann. Und zu gut war die Deckung auch nicht. Die konnte leicht mit Kugeln durchlöchert werden.
Das alles wusste sie, aber es störte sie nicht. Laura ließ es darauf ankommen.
Sie saß still, lauschte wieder, und sie hörte nach einer Weile die Stimmen der Verfolger. Ob sie schon aufgeholt hatten, fand sie nicht heraus, aber es verging nicht viel Zeit, da war es so weit. Da hörte sie die Männer lauter miteinander reden. Sie waren in der Nähe und vielleicht nur noch ein paar Schritte vom Hochsitz entfernt.
Laura wollte es genau wissen. Noch immer hockend, beugte sie ihren Oberkörper nach vorn. Im ersten Moment sah sie nichts. Eigentlich nur die Lichtung und den Waldrand.
Lauras Haltung spannte sich. Noch hatte sie keinen der Männer gesehen, doch sie wusste, dass es sich bald ändern würde. Sie konnte sich vorstellen, dass die Verfolger den Hochsitz umstellten und dass einer von ihnen hochkletterte, um sich einen Überblick zu verschaffen. Das schoss ihr durch den Kopf, denn sie selbst hätte so gehandelt.
Noch war ihr Blickwinkel zu schlecht. Sie konnte die Kerle nicht sehen. Sie waren nur zu hören, und ihr fiel auf, dass sich die Stimmen nicht mehr entfernten. Sie blieben in der Nähe, was sie als Zeichen dafür ansah, dass die Typen mehr wussten.
Sie hörte die Echos dumpfer Schritte und dann die Stimme, die so laut war, dass sie jedes Wort verstand.
»Ich habe Spuren entdeckt, die hier aufhören. Deshalb können wir davon ausgehen, dass sie hier irgendwo sein muss.«
»Und wo?«
»Keine Ahnung.«
Ein anderer sagte: »Hier gibt es einen Hochsitz, vergesst das nicht.«
»Wissen wir.«
»Es könnte doch sein, dass sie auf ihn geklettert ist.« Eine Pause folgte.
Laura hatte alles gehört. Sie saß in luftiger Höhe und spürte ein Kribbeln auf der Haut. Ihr Gesicht zeigte eine starke Anspannung. Sie wusste ja, dass die Typen auf dem richtigen Weg waren, und fragte sich erneut, ob sie einen Fehler begangen hatte. Da hörte sie die Stimme.
Keiner der Verfolger hatte zu ihr gesprochen. Es war jemand anderer, der Kontakt zu ihr aufgenommen hatte und der jetzt anfing zu reden. Er war da, doch er war nicht zu sehen. Er zeigte seine Präsenz, indem er sich in Lauras Kopf ausbreitete.
»Du musst keine Angst haben, das weißt du doch …«
»Ja, ja …«
»Ich bin da. Ich bin bei dir. Ich werde dir beweisen, wer hier der Stärkere ist.«
Plötzlich konnte sie lächeln und dann nickte sie. Ja, sie hatte es schon fast vergessen. Sie war etwas Besonderes. Jemand war immer bei ihr, obwohl sie ihn nicht sah.
Er war ihr Beschützer. Er war ihr zweites Ich. Er würde sie davor beschützen, dass ihr ein Leid widerfuhr.
»Was soll ich tun?«
»Gar nichts, meine Liebe. Du bleibst
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