1797 - Das zweite Ich der Laura Dern
einem der großen Spiegel. Sie wurde behandelt, wie sie immer sagte, und das tat eine Frau, die sie schon seit Jahren kannte. Da hatte sich ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen ihnen aufgebaut. Laura überließ sich voll und ganz den geschickten Fingern der schon älteren Frau, die so bieder aussah, aber es durchaus drauf hatte, wenn es darauf ankam. In diesem Fall musste sie sich nicht sehr anstrengen. Es war wichtig, dass sie Laura Dern eine gewisse Blässe verpasste. Für die Rolle war das erforderlich.
Umgezogen war sie bereits. Sie trug ein langes Kleid, das auf den ersten Blick nur wie ein Kleid aussah. Tatsächlich war es ein Totenhemd. So angezogen sollte sie durch den Wald laufen und einen künstlich angelegten Friedhof erreichen, der im Wald lag.
Das war die Passage, die in der Dunkelheit gedreht wurde. Wenn alles gut lief, würde man noch weitere Szenen drehen, aber das hatte der Regisseur noch offen gelassen.
»Fühlst du dich gut, Laura?«
»Ja, warum fragst du?«
»Weiß ich auch nicht.« Die Frau von der Maske hob die Schultern. »Ich hatte einfach das Gefühl.«
»Nein, nein, Mary, es ist alles in Ordnung. Du musst dir keine Sorgen machen.«
»Nun ja, wir kennen uns so lange.«
»Das stimmt.« Mehr sagte Laura nicht. Sie wollte das Thema nicht unnötig ausweiten. Außerdem konzentrierte sich Mary jetzt intensiver um ihr Gesicht, das sie entsprechend der Szene bleich schminken musste.
Laura Dern schloss die Augen, wie sie es immer tat. Sie überließ sich den geschickten Händen der Frau. Dabei konnte sie wunderbar entspannen. Es waren für sie immer wichtige Minuten vor Drehbeginn.
Heute auch!
Oder heute nicht?
Etwas störte sie.
Zunächst war es nur ein Gefühl, das sich allerdings schnell änderte. Da wurde etwas zur Gewissheit, mit dem sie nicht gerechnet hätte.
Die Stimme war da!
Seine Stimme, und die spürte sie nur in ihrem Kopf. Sie wollte etwas von ihr. Noch konnte Laura sie nicht verstehen, doch dann wurden die Worte deutlicher, und sie erschrak, als sie mehr verstand.
»Du musst jetzt aufpassen!«
Wieso? , formulierte sie ihre Frage im Kopf.
»Man ist dir auf der Spur.«
Wer?
» Zumindest ein gefährlicher Mensch.«
Kenne ich ihn?
» Weiß ich nicht. Ich spüre nur die Gefahr, die von ihm ausgeht. Er will dich stellen. Er weiß, was mit dir los ist. Sei auf der Hut.«
Und wo ist er?
» Nahe, Laura, sehr nahe. Lass dich auf nichts ein. Ich werde versuchen, noch näher bei dir zu sein.«
Danke.
» Mach alles so wie vorgesehen.«
Ich werde es versuchen …
Die Stimme ihres Zweiten Ichs war weg. Laura Dern atmete erst mal durch. Sie wollte etwas sagen, ließ es dann aber bleiben und lauschte einer fernen Stimme. Sie kam ihr fern vor, dabei war sie das nicht, denn die Sprecherin stand neben ihr und stupste sie an.
»He, was ist mit dir, Laura? Bist du eingeschlafen?«
»Fast.«
»Das habe ich gemerkt.« Mary lachte. »Du hast sogar geträumt und mit jemandem gesprochen.«
»Bitte?«
»Ja.«
»Mit wem denn?«
»Das weiß ich nicht. Namen sind nicht gefallen.«
»Ja«, sagte Laura, »manchmal geschehen schon seltsame Dinge. Wir Menschen sind doch rätselhafte Wesen.«
»Da hast du recht.«
Es klopfte an der Tür, und wenig später stand schon der Regisseur im Wagen.
»Alles klar?«, fragte Dario Folli.
»Ich bin fertig, und wir können anfangen.«
»Wunderbar.« Folli ging zwei Schritte, dann blieb er stehen. »Müssen wir sonst noch über etwas reden? Die Szene durchgehen oder so?«
»Nein. Es sei denn, du hast sie umgeschrieben.«
»Habe ich nicht. Die Action passiert erst auf dem Friedhof. Da siehst du plötzlich deinen noch lebenden Mann. Ob wir das drehen, kann ich dir nicht sagen. Es kommt darauf an, wie wir zurechtkommen.«
»Ich bin okay.«
Er tätschelte ihre Schulter. »Das weiß ich doch. Aber die anderen sind auch noch da. Das kennst du doch.« Er strich sein langes Haar nach hinten, damit es sein verlebt aussehendes Gesicht nicht mehr bedeckte.
»Ist eigentlich sonst noch was passiert?«, wollte sie wissen.
»Wie meinst du das?«
»Ob es etwas Neues gibt.«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Denk genau nach.«
Folli wollte schon protestieren, als ihm doch noch etwas einfiel. »Ja, da ist jemand. Eine Frau, mit der ich nicht gerechnet habe. Alexandra King, eine Reporterin. Aber eine von den guten. Eine, die positiv über uns schreibt.« Der Regisseur trat etwas zurück. »Stört sie dich?«
»Nein, ich dachte nur an etwas
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