18 - Eine Taube bringt den Tod
verlassenes Gebäude aus Stein. Der Wald reicht bis an den Rand der Klippen, das ganze Meeresufer ist eine einzige Steilküste. Und hoch oben thront die Kapelle; sie wurde vor vielen Jahren gebaut und wird schon lange nicht mehr benutzt.«
»Und? Habt ihr Macliau dort gefunden?«
»Wir sahen zunächst niemand, weder Krieger noch Jäger. Beinahe hätte ich gar keinen Blick in die Kapelle geworfen, wenn ich nicht dahinter ein frei herumlaufendes Pferd bemerkt hätte. Daraufhin ging ich dann näher heran. Eine Tür gibt es nicht, die ist längst verrottet, der Raum war offen. Das Erste, was ich sah, war Macliau, der stinkbesoffen auf der Erde lag …«
»Woher willst du wissen, dass er betrunken war?«
»Der Geruch von Alkohol war unverkennbar. Macliau stank, als wäre er gerade aus einem Weinfass gekrochen.«
»Er lag also betrunken auf der Erde. Was geschah dann?«
Barbatil rang nach Fassung.
»Neben ihm lag … lag meine Tochter. Argantken!« Seine Stimme wurde heiser. »Sie war tot. Überall ringsherum Blut. In ihrem leblosen Körper steckte ein Dolch, Macliaus Dolch.«
»Woher willst du wissen, dass es Macliaus Dolch war?«
»Das Symbol der Herren auf Brilhag kennt jeder hier. Der Dolch trug das Wahrzeichen der Taube … Für Frieden soll es stehen.«
Von Schmerz überwältigt versagte ihm die Stimme. Die Geduld der Bauersleute schien erschöpft, sie drängten nach vorn.
»Wartet! Ich habe dem Mann hier Gerechtigkeit versprochen, doch ich brauche noch ein paar Antworten auf weitere Fragen.« Dank der Übersetzung ihrer Worte durch Bruder Metellus gelang es, die Menge zu beschwichtigen.
»Nur noch einige wenige Fragen«, wandte sie sich wieder Barbatil mit warmer Stimme zu. »Denn wenn die Wahrheit im Dunkeln bleibt, wird deine Tochter nicht in Frieden ruhen.«
»Was willst du noch wissen?«, brummte der Bauer, der sich wieder in der Gewalt hatte. »Die Tatsachen sprechen doch für sich.«
»Wie habt ihr euch verhalten, als sich euch die Gräueltat offenbarte?«
»Einer meiner Nachbarn zog den Dolch aus ihrer Brust und bedeckte den Leichnam.«
»Hast du den Dolch noch?«
Barbatil drehte sich zu der hinter ihm stehenden Schar um.
»Coric, hast du den Dolch?«, fragte er.
Ein kleiner Mann, dessen geradezu lachhafte Größe im Widerspruch zu seiner Beleibtheit und kräftigen Statur stand, kam nach vorn und hielt den Dolch hoch. Fidelma nahm ihn in die Hand und betrachtete ihn. Es war der gleiche wie der, der in Abt Maelcars Brust gesteckt hatte. Auch hier wieder das eingravierte Symbol der Taube.
»Ich werde ihn als Beweisstück behalten«, sagte sie. »Und was geschah danach? Was wurde aus Macliau? Was habt ihr dann gemacht?«
Barbatils Gesichtsausdruck verfinsterte sich. »Macliau war betrunken. Wir versuchten, ihn aufzurichten. Wir versetzten ihm Ohrfeigen links und rechts, aber er reagierte nicht. Also nahmen wir ihn und warfen ihn in den Bach. Selbst da dauerte es noch eine Weile, bis das Schwein zu sich kam. Wir kündigten ihm an, dass er für seine Schandtaten büßen müsste und wir ihn hängen würden.«
Der kleine Mann namens Coric ergänzte: »Er fing wie ein Kind zu weinen an, winselte um sein Leben, behauptete, er wäre es nicht gewesen und wüsste nichts von der Mordtat. Eine Lüge nach der anderen, es konnte einem schlecht werden.«
»Wir nahmen Argantkens Leichnam mit uns auf meinen Hof«, fuhr Barbatil fort, »sie sollte von der Familie betrauert und bestattet werden, wie es sich gehört. Macliau schafften wir in meinen Schweinestall und sperrten ihn dort ein. Nach der Beerdigung meiner Tochter wollten wir ihn dann hängen. Das sollte heute Mittag geschehen.«
»Und?«
»Wir haben meine Tochter beerdigt. All die guten Leute hier gaben ihr das letzte Geleit.« Zur Bekräftigung zeigte er in die Runde. »Dann gingen wir zum Schweinekoben. Und was mussten wir sehen? Macliau hatte sich befreien können. Wir nahmen seine Spur auf, und die führte uns hierher. Der Feigling hat in der Kapelle Zuflucht gesucht, aber wir holen ihn uns, die Bestie hat nichts anderes verdient, wir werden ihn …«
»Nichts werdet ihr. Dir wird Gerechtigkeit widerfahren, wie versprochen. Aber Rache können wir« – und sie zeigte auf die Mönche und Krieger – »nicht gutheißen. Rache gebiert Rache. Dir ist doch klar, was eine Freistatt ist?«
Er schnaubte höhnisch.
»Das ist nichts weiter als eine listige Art, die Schuldigen vor Bestrafung zu schützen.«
»Nein, mein Freund. Der höhere Sinn ist,
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