18 - Eine Taube bringt den Tod
Kreise ist völlig abgesunken, und einer von den Felszacken ist besonders gefährlich. Die Fischer hier nennen ihn den Hufschmiedstein«, ergänzte Bleidbara. »So eine Felsspitze könnte selbst einem Kahn wie dem unseren den Bauch aufschlitzen.«
Jetzt war die Morgendämmerung vollends da, doch den Strahlen der Morgensonne fehlten die Rot- und Goldfärbungen. Das Licht wirkte bläulich blass und schien Regen anzukündigen. Die Sonne blieb hinter sich auftürmenden Quellwolken verborgen. Es war nun so hell, dass man weit umherschauen konnte, und aller Augen suchten rundum die See ab.
»Halt auf die Ziegeninsel zu«, rief Bleidbara und zeigte nach vorn. Doch schon hörten alle den Schrei vom Mastkorb und schauten hoch.
Eadulf verstand nicht, was der Mann im Ausguck gerufen hatte, sah aber, dass er den Arm nach Norden ausgestreckt hielt. Das half ihm wenig, er konnte nichts entdecken.
Bleidbara lachte auf und klatschte sich vor Vergnügen auf den Schenkel. »Da haben wir sie, genau wie ich es erwartet habe. Die Seeräuber kommen südwärts in unsere Richtung.« Er schaute zu den Segeln hoch. »Aber wir liegen am Wind. Es wird ernst, meine Freunde, bald schlagen wir los.«
Als ein Schrei vom Hauptdeck ertönte, drehte sich Eadulf um und sah, dass sich ein Schiff über der Wasserfläche abhob, voll aufgetakelt, doch mit schlaff hängenden Segeln. Es schlingerte und kam nur schwerfällig voran, obwohl es versuchte, Fahrt aufzunehmen.
Seine Mannschaft hatte sie bereits erspäht und lief auf dem Deck hin und her. Der Bug des herankommenden Schiffs schien sich seitwärts zu bewegen, als ob es abdrehen wollte.
»Sie halsen«, murmelte Heraklius, »versuchen zu wenden«, fügte er für Eadulf hinzu.
Das Piratenschiff bewegte sich ruckweise vor und zurück und kam nicht vom Fleck. Vermutlich hatte die Piraten überrascht, dass Bleidbaras Brigg so plötzlich auftauchte und in voller Fahrt auf sie zuhielt. Der Schiffskörper hob und senkte sich im auffrischenden Wind. Das Wasser rauschte unter dem Bug dahin, weiße Schaumflocken sprühten umher.
»Fertig machen zum Angriff«, schrie der Kapitän Heraklius zu.
Der junge Mann nickte, rief Bleidbara und Eadulf ein rasches »Gott befohlen!« zu und lief zum Vorderdeck. Einer von der Mannschaft hatte das dunkle Segeltuch bereits von dem hölzernen Gestell gezogen. Was da zum Vorschein kam, hatte Eadulf noch nie zuvor gesehen. Eine Vorrichtung in der Form eines dreieckigen Doppelbocks aus Eichenbalken, der auf den Deckplanken befestigt war. Quer durch die Gerüstbalken war an einem Ende eine dicke Welle geschoben. Um diese Welle wickelten sich verdrellte Seile, und in der Welle steckte eine senkrecht stehende Stange aus massivem Holz. An ihrem freien Ende hing eine Lederschlaufe. Eadulf hatte einiges über solche von den Römern schon vor Jahrhunderten benutzten Kampfmaschinen gelesen und machte sich die Wirkungsweise des Gerüsts klar. Der aufragende Wurfarm ließ sich mit einer seitlich angebrachten Haspel in eine waagrechte Lage ziehen, wodurch die Seile gespannt wurden. Ein Bolzen hielt die Stange fest, und in die Schlaufe legte man einen Stein. Sobald der Geschützmeister den Sicherungsbolzen mit einem Holzhammer herausschlug, schnellte der Wurfarm hoch und schleuderte das Geschoss über eine beträchtliche Entfernung auf den Feind.
Gespannt verfolgte Eadulf, wie Heraklius sein Gerät von allen Seiten überprüfte. Dann sagte er etwas zu seinen Leuten. Zwei von ihnen gingen unter Deck und kamen bald mit einer Holzkiste zurück. Sie hatten schwer daran zu tragen und setzten sie mit Sorgfalt ab. Vorsichtig schoben sie das Behältnis neben die Wurfmaschine. Heraklius öffnete den Kasten und nahm eine der großen Lehmkugeln heraus, die Eadulf in der Steinhütte des Apothekers gesehen hatte.
Bleidbara schrie Heraklius eine Warnung zu und zeigte auf das Schiff, dem sie nun gefährlich nahe waren. Deutlich waren im Frühlicht die Bogenschützen zu erkennen, die sich am Bug aufgestellt hatten. Und ebenso deutlich sah Eadulf die geschnitzte Figur der Taube auf dem Bugspriet. Kein Zweifel, das war die Koulm ar Maro , die »Taube des Todes«, die die Ringelgans überfallen hatte. Sie brachte sich in Angriffsstellung. Doch Bleidbara kommandierte keinen unbewaffneten Handelsfrachter, seine Krieger standen bereits längsschiffs mit schussbereiten Bögen.
Schutzsuchend drückte sich Eadulf hinter einen Mast, denn gleich würden Pfeile auf sie niederprasseln. Er hatte geglaubt,
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