18 - Eine Taube bringt den Tod
genommen werden. Es kommt schon darauf an, was verlangt wird.«
»Wo in der Regel steht das geschrieben?«, trieb Fidelma ihn in die Enge. »Willst du damit sagen, dass du trotz der Regel für dich entscheiden kannst, welches Gebot du befolgst und welches nicht? Wir haben gerade erst vor kurzem dem Konzil in Autun beigewohnt, auf dem über die Regel debattiert wurde. Nirgends steht darin geschrieben, dass du nach eigenem Gutdünken festlegen kannst, wann du dich fügst und wann nicht.«
»Da hast du die Regula nicht sorgfältig genug gelesen, Schwester«, ereiferte sich der Mönch. »Es gibt darin die Ausnahmeregel für den Fall, dass die Anordnung unzumutbar ist.«
Fidelmas Augen funkelten. »Ich kenne das Regelwerk sehr gut, denn ich hatte es dahingehend zu überprüfen, ob oder inwieweit es mit den Gesetzen meines Landes vereinbar ist. Nicht ich, du bist derjenige, der es falsch auslegt, Bruder. Was die Regel unmissverständlich sagt, ist Folgendes: Wird einem Bruder eine schwierige oder unmögliche Aufgabe erteilt, hat er sie demütig und gehorsam hinzunehmen. Geht die Aufgabe über seine Kräfte, darf er sich an seinen Vorgesetzten wenden und seine Gründe darlegen, weshalb er sich außerstande sieht, dem Auftrag nachzukommen. Besteht jedoch der Vorgesetzte auf deren Erfüllung, hat sich der Bruder zu fügen und kann nur auf die Hilfe Gottes vertrauen. Eine freie Wahl hast du nicht, mein Freund. Keine Wahl. Blinder Gehorsam aber ist ein Übel. Caeci caecos ducentes ! Blind sind diejenigen, die die Blinden führen.«
Sie zürnte, und Eadulf wurde unruhig. Er wusste nur allzu gut, dass sie mit denen, die nichts in Frage stellten und blind alles befolgten, was man von ihnen verlangte, unduldsam war.
Halsstarrig stand Bruder Ebolbain vor Fidelma. »Ich stehe zu meinem Glauben«, erklärte er langsam. »Ich bekenne mich zu meinem Abt, ihm bin ich treu ergeben.«
»Und nun, da er tot ist? Zu wem bekennst du dich jetzt?«
»Zu seinem Nachfolger, egal, wer es sein wird.«
Sie gab es auf und entließ ihn mit einer Handbewegung.
Riwanon sah sie belustigt an. »Nachgiebig bist du nicht, liebe Schwester aus Hibernia. Auch habe ich den Eindruck, du neigst zu den alten Glaubensvorstellungen deines Volkes.«
»Ich halte nichts von dem Gedanken des unbedingten Gehorsams und davon, dass man ein aberwitziges Ansinnen nicht in Frage stellen darf. Und schon gar nicht, wenn es sich um vermeintlich kluge Menschen handelt. Bei ihnen ist blinder Gehorsam schlimmer als bei denen, die aus Unwissenheit handeln. Und selbst da predigen wir oft genug, dass Unwissenheit kein Freibrief ist, sich vor jeder Verantwortung zu drücken. Wie können wir so etwas sagen, wenn wir die Menschen Gehorsam lehren, ohne dass sie darüber nachdenken dürfen, was von ihnen verlangt wird?«
»Du bist aufgebracht, Schwester.«
»Ja. Dinge wie diese regen mich auf, Riwanon. Verzeih.«
»Es gibt nichts zu verzeihen, ich bin durchaus deiner Meinung.« Sie hielt einen Moment inne und sagte dann: »Ich denke, wir sollten Bruder Ebolbain zur Abtei zurückschicken, damit er die Gemeinschaft von dem, was geschehen ist, in Kenntnis setzt. Vielleicht kann jemand von den Bediensteten hier den Leichnam zur Abtei schaffen, damit man ihn bestattet.«
Bruder Metellus war im Begriff, etwas zu sagen, kam aber nicht recht zum Zuge. Fidelma hatte es bemerkt und ermunterte ihn. »Dir lag etwas auf der Zunge, Bruder Metellus?«
»Ich fragte mich nur, ob ich vielleicht besser mit Bruder Ebolbain gehen sollte. Schließlich bin ich Mitglied der Gemeinschaft. Wenn die Brüder einen neuen Abt wählen, darf das nicht überstürzt geschehen und ohne dass ich die Gelegenheit hatte, meine Meinung dazu zu sagen.«
»Wird man sich denn so rasch für einen neuen Abt entscheiden, ohne die Trauerfeierlichkeiten für Abt Maelcar abzuwarten?«, fragte Eadulf.
Bruder Metellus’ Gesicht sprach Bände. »Abt Maelcar hat sich mit Brüdern wie Ebolbain umgeben, die sich leicht zu einer unbedachten Wahl hinreißen lassen könnten.«
»Ich bin dafür, dass Bruder Metellus zur Abtei zurückkehrt«, äußerte sich Riwanon. »Bruder Ebolbain scheint mir, ehrlich gesagt, nicht die geeignete Person, die Dinge dort in die Hand zu nehmen, und in der gegenwärtigen Situation ist eine führende Kraft gefragt. Die Gemeinschaft dürfte aufgescheucht und verängstigt sein. Bruder Metellus hat Charakterstärke, und was man jetzt dort braucht, ist ein starker Mann.« Ihre Worte entbehrten jeglicher
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