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18 Gänsehaut Stories

18 Gänsehaut Stories

Titel: 18 Gänsehaut Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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Ja­ne la­chen, sil­ber­hell, fröh­lich, wie ei­ne Zwan­zig­jäh­ri­ge eben lacht. Nur daß sie eben Wit­we ge­wor­den war.
    »Nun«, sag­te sie, als sie sich ge­faßt hat­te, »mit dem Ih­ren kön­nen Sie doch wohl zu­frie­den sein, Dok­tor!«
    At­kin­son wand­te sich voll Ja­ne zu, tauch­te sei­nen Blick in den ih­ren und sag­te, als er­klä­re er ei­nem Kind die Mys­te­ri­en der Welt:
    »Ich brau­che einen Schä­del für je­ne Prü­fung – den Kopf ei­nes To­ten. Ein Stu­di­en- und Prü­fungs­ob­jekt. Und ich kann nicht be­ste­hen, ich kann die Prü­fung nicht er­folg­reich ab­le­gen und die Stel­lung er­hal­ten, wenn ich nicht einen taug­li­chen, einen über­durch­schnitt­li­chen Kopf auf­trei­be. Denn wir Phre­no­lo­gen, wir se­zie­ren nicht bloß: Wir er­ar­bei­ten uns aus der Kennt­nis der ein­zel­nen Hirn­par­ti­en ein Bild des neu­en Men­schen. Mit den exe­ku­tier­ten Lei­chen aus Old Bai­ley kann ich nichts an­fan­gen, mit den Er­trun­ke­nen aus der Them­se, den Er­schla­ge­nen aus So­ho, den schwam­mi­gen Säu­fern von den Docks kann ich mei­nen Kon­kur­ren­ten nicht schla­gen, denn En­ver Bo­stic ver­fügt über ein her­vor­ra­gen­des Stu­die­n­ob­jekt, über den Kopf ei­nes eben zu rech­ter Zeit ver­stor­be­nen On­kels, der im­mer­hin Ma­ler war.«
    La­dy Ja­ne wur­de un­be­hag­lich. Sie ver­stand so we­nig von dem, was der schö­ne Arzt ihr er­zähl­te, und es war zu­viel Frem­des. Sein Blick hat­te ei­ne nar­ko­ti­sche Wir­kung, die ihr neu war: Nach zwei Jah­ren an der Sei­te ei­nes sehr viel äl­te­ren Man­nes trat sie zum ers­ten­mal wie­der hin­aus in je­ne Welt, in der die Män­ner be­gehr­ten und die Frau­en be­gehrt wur­den – ein Spiel der Kräf­te, das in ih­rem Hei­mat­ort in Wa­les re­la­tiv harm­los ab­ge­lau­fen war, hier in Lon­don aber of­fen­sicht­lich sei­ne Ge­fah­ren hat­te.
    »Die­ser Kon­kur­rent …«, be­gann sie. »Dok­tor Bo­stic!«
    »… ist sehr tüch­tig?«
    »Er hat einen schar­fen Ver­stand, küh­ne Ide­en, bis­wei­len so­gar all­zu küh­ne. Aber er wird sich dank sei­nes bes­se­ren Ob­jekts auch bes­ser ins Licht set­zen und die Po­si­ti­on er­hal­ten, die ein­zi­ge, die es der­zeit für Phre­no­lo­gen gibt. Und da er so alt ist wie ich, wird er sie in­ne­ha­ben und hal­ten kön­nen, bis ich ein al­ter Mann bin.«
    Ein al­ter Mann … Wie oft hat­te sie das ge­dacht, wenn ihr ge­lieb­ter Ne­ville, von der Stern­war­te kom­mend, nach ei­nem zärt­li­chen Kuß auf ih­re Stirn ein­ge­schla­fen war. Nein, von al­ten Män­nern – bei al­ler Lie­be und Ver­eh­rung – hat­te sie ge­nug.
    »Was kann ich für Sie tun, Dok­tor At­kin­son?« frag­te sie mu­tig, ob­wohl ein lei­ses Grau­en sie be­schlich.
    Auch At­kin­son muß­te sich erst fas­sen, ehe er zu sei­ner Bit­te an­setz­te:
    »Ge­ben Sie mir die Er­laub­nis, Myla­dy, den Kopf des großen Astro­no­men Sir Ne­ville Hul­me bei mei­nem Ex­amen zu be­han­deln.«
    Die Wor­te rausch­ten an Ja­ne vor­bei. Ne­vil­les Kopf. Sie sah ihn vor sich, wie er auf­ge­bahrt dalag und nur Kopf, Hals und Hän­de zu se­hen wa­ren. Und der Kopf, die­ser im Le­ben so ehr­furcht­ge­bie­ten­de Kopf, schmal, klar, vor­nehm und in­tel­li­gent, war im Tod ei­ne ent­setz­li­che Mas­ke grei­sen­haf­ter Selbst­über­he­bung ge­wor­den, starr, stei­nern, ar­ro­gant und feind­se­lig.
    »Wer wird es er­fah­ren?« frag­te sie lei­se.
    »Die Prü­fer, Pro­fes­so­ren und Ärz­te, sie bin­det das Be­rufs­ge­heim­nis.«
    »Und Dok­tor Bo­stic?«
    »Der hat mir nichts vor­zu­wer­fen, da er den Schä­del ei­nes Ver­wand­ten zur Prü­fung mit­bringt.«
    »Und nach der Prü­fung, was ist dann?«
    »Dann wird der Schä­del so­gleich re­sti­tu­iert und ge­mein­sam mit dem Leich­nam, den wir bis da­hin im In­sti­tut ein­frie­ren, bei­ge­setzt.«
    »Aber die of­fi­zi­el­len Lei­chen­fei­ern … das Be­gräb­nis mor­gen nach­mit­tag? Sie se­hen, Dok­tor At­kin­son, ich kann Ih­nen nicht hel­fen.«
    »Dar­an ha­be ich na­tür­lich ge­dacht, Myla­dy, der Sarg wür­de mit Stei­nen ge­füllt, bis das Ge­wicht des Ver­bli­che­nen er­reicht ist, und in vier­zehn Ta­gen, wenn al­les vor­bei

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