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18 Gänsehaut Stories

18 Gänsehaut Stories

Titel: 18 Gänsehaut Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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ge­spro­chen hat te. »Ja, ein klei­ner Spa­zier­gang wür­de mir viel­leicht aus­ge­spro­chen gut­tun.«
    »Ich brin­ge dich auf die Ter­ras­se. Es ist ei­ne wun­der­ba­re Nacht heu­te.« Sie trat zu ihm und nahm sei­nen Arm. Er sah, wie sie lä­chel­te – und auf ihn her­ab blick­te.
    Er hät­te nie ge­glaubt, daß Kno­chen so schnell aus­trock­nen kön­nen. Er war klei­ner ge­wor­den. Sein An­zug schlot­ter­te am Kör­per. Er spür­te Va­le­rie, und wo ihr Fleisch das sei­ne be­rühr­te, brann­te es wie Feu­er. Ihr Par­füm roch stark und be­täu­bend. Er ver­such­te, sich zu weh­ren, aber er hat­te kei­ne Kraft mehr. Wil­len­los ließ er sich auf die Ve­ran­da füh­ren. Er stam­mel­te ein paar un­ar­ti­ku­lier­te Lau­te, und der Spei­chel tropf­te aus sei­nem Mund, fiel auf den Rockaufschlag und zu Bo­den. Er konn­te kaum noch se­hen.
    Va­le­rie brach­te ihn zu ei­nem Stuhl und war­te­te, bis er sich ge­setzt hat­te. Jetzt konn­te er sie wie­der se­hen, denn das Mond­licht war hell und un­barm­her­zig.
    »Du bist nur mü­de«, sag­te sie. »Ru­he dich aus.«
    Die Mat­tig­keit über­flu­te­te ihn wie ei­ne Wo­ge. Sie spül­te über ihn hin­weg und drang bis in das Mark sei­ner Kno­chen. Ihm war übel, und er fühl­te sich alt und ver­braucht. Das Mond­licht schmerz­te in den Au­gen. Das Le­ben er­schi­en ihm sinn­los und wie ei­ne Last. Mit letz­ter Kraft raff­te er sich auf und sah in das Ge­sicht sei­ner Frau. Es war das Ge­sicht ei­nes an­mu­ti­gen, hüb­schen Mäd­chens von kaum zehn Jah­ren.
    Ein letz­ter Fun­ke Le­bens­wil­le fla­cker­te in ihm auf. Er be­weg­te sei­ne sprö­den Lip­pen und krächz­te müh­sam:
    »Wer bist du? Was bist du …?«
    Sie stand da, ein­gehüllt vom Sil­ber des Mond­lichts, die Ar­me auf der Brust ver­schränkt, und sah ihn an. Kalt und er­bar­mungs­los lag ihr Blick auf ihm. Dann sag­te sie:
    »Hun­ger und Gier nach Le­ben er­fül­len mich, aber ich ha­be kein ei­ge­nes Le­ben – ich kann es nur an­de­ren weg­neh­men. Ich und an­de­re, die wie ich sind. Wir be­sit­zen das ge­hei­me Buch des Le­bens, in dem die Schick­sa­le al­ler Men­schen auf­ge­zeich­net sind.« Ih­re Stim­me klang geis­ter­haft. Sie klang aber auch er­schöpft und mü­de. »Um so et­was wie le­ben zu kön­nen, müs­sen wir an­de­ren Men­schen die Zu­kunft rau­ben, ih­nen die Jah­re steh­len. Du wä­rest acht­zig Jah­re alt ge­wor­den, Bob.«
    Sie setz­te sich auf die Stein­mau­er der Ter­ras­se und ließ ihn nicht aus den Au­gen. Bob ver­hielt sich ganz ru­hig und be­ob­ach­te­te sie. Lei­se frag­te er:
    »Wie macht ihr es?«
    Va­le­rie lä­chel­te.
    »Als du mich zur Frau nahmst, ge­lob­test du, eins mit mir zu sein und dein Le­ben mit mir zu tei­len. Zu tei­len, Bob. Aber ich ha­be kein ei­ge­nes Le­ben, nur den Hun­ger und die Gier da­nach. Je­des­mal bei ei­ner Be­rüh­rung, bei ei­nem Kuß, bei ei­ner Um­ar­mung, über­haupt im­mer, wenn wir uns na­he wa­ren, saug­te ich dich aus, nahm dir ein Stück dei­ner Zu­kunft. Aber was sind fünf­zig oder sech­zig Jah­re ge­gen voll­kom­me­ne Lee­re? Wir konn­ten nicht tei­len, ich woll­te al­les. Dei­ne Jah­re ge­hö­ren nun mir; ich wer­de sie le­ben.«
    Ihm wur­de schwarz vor den Au­gen. Aber sein Wil­le war stär­ker als die Furcht. Schmerz ras­te durch sei­nen Kör­per, als er auf die Fü­ße sprang. Sei­ne Hän­de um­klam­mer­ten die Stuhl­leh­nen und ga­ben ihm Halt.
    »Nein, du kannst mir nicht mein Le­ben steh­len!«
    Jetzt konn­te er Va­le­rie wie­der se­hen. Sie starr­te ihn an und schüt­tel­te den Kopf.
    »Du kannst es nicht än­dern, Bob. Scho­ne dich jetzt, denn die An­stren­gung tut dir nicht gut. Ob du an Al­ters­schwä­che oder durch einen Un­fall stirbst, spielt kei­ne Rol­le mehr. Dei­ne Jah­re ge­hö­ren mir.«
    Es wa­ren tau­send ver­schie­de­ne Ge­dan­ken, die in die­sem Au­gen­blick von ihm Be­sitz er­grif­fen. Er dach­te an die vie­len krän­keln­den Män­ner, de­ren Frau­en jung und ge­sund blie­ben, an die Tat­sa­che, daß die Le­bens­er­war­tung der Män­ner kür­zer als die der Frau­en war, und er ent­sann sich der An­ge­wohn­heit der Frau­en, stets ein Ge­heim­nis um ihr wah­res Al­ter zu

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