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18 Gänsehaut Stories

18 Gänsehaut Stories

Titel: 18 Gänsehaut Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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ei­nem tä­ti­gen Le­ben: Sir Ne­ville Hul­me starb, noch ehe er die zwei­te Wie­der­kehr sei­nes Hoch­zeits­ta­ges fei­ern konn­te, im Mai 1895, wie man sich er­in­nern wird, und kein Ge­rin­ge­rer als der Prinz of Wa­les selbst, der ein viel­ge­rühm­tes Ken­ne­r­au­ge für weib­li­che Schön­heit sein ei­gen nennt, stat­te­te La­dy Ja­ne Hul­me einen Kon­do­lenz­be­such ab.
    Als sei­ne kö­nig­li­che Ho­heit welt­män­nisch Ab­schied ge­nom­men und sei­ne sym­pa­thi­sche Lei­bes­fül­le wie­der in die wap­pen­ge­schmück­te Kut­sche ver­frach­tet hat­te, klin­gel­te es aber­mals an der Tür des Trau­er­hau­ses am Bel­gra­ve Squa­re, und Pa­me­la, das dun­kel­häu­ti­ge Dienst­mäd­chen, mel­de­te Dr. Bru­ce At­kin­son.
    La­dy Ja­ne hat­te den Na­men be­reits ge­le­sen, wenn ihr auch nicht so­gleich ein­fiel, wo. Es war ein Do­ku­ment, ein amt­li­ches Do­ku­ment, das sie eben erst un­ter den Au­gen ge­habt hat­te, und so ließ sie denn bit­ten.
    At­kin­son war mit sei­nen dunklen Haa­ren, der Rö­mer­na­se und dem sinn­li­chen Mund kei­ne sehr bri­ti­sche Er­schei­nung, aber groß und schlank und ganz zwei­fel­los ein sehr schö­ner Mann. Er be­frei­te die jun­ge Wit­we so­gleich von al­len Zwei­feln: Er sei der Arzt, der von Amts we­gen den To­ten­schein aus­ge­stellt ha­be, wie bei al­len To­des­fäl­len zwi­schen West­mins­ter und Ken­sing­ton, er kom­me nun aber mit ei­ner sehr per­sön­li­chen und bei­na­he de­li­ka­ten Bit­te.
    Ja­ne Hul­me wuß­te, daß sie un­ge­hal­ten sein müß­te, denn es war weiß Gott nicht der Tag, ihr mit per­sön­li­chen An­lie­gen zu kom­men. Aber der sam­ti­ge Blick des jun­gen Arz­tes um­fing sie mit sol­cher In­nig­keit, daß ihr nach Ta­gen und Näch­ten der Ein­sam­keit und des Schmer­zes zum ers­ten­mal wie­der warm ums Herz wur­de. Hier war end­lich je­mand, der nicht nur von dem to­ten Ne­ville sprach, son­dern auch für die am Le­ben ge­blie­be­ne Ja­ne ein Herz zu ha­ben schi­en, und so ließ sie denn Tee brin­gen und warf einen prü­fen­den Blick in den großen ve­ne­zia­ni­schen Spie­gel über dem Ka­min. Kein Zwei­fel: Schwarz klei­de­te sie, das züch­ti­ge De­kol­le­te des schwar­zen Klei­des wirk­te durch die wei­ße, glat­te Elo­quenz ih­rer Haut nicht min­der er­re­gend als ein großer Aus­schnitt, und die Fül­le ih­res ro­ten Haa­res, müh­sam ge­bän­digt über ih­rem von den Trä­nen noch ver­schlei­er­ten Blick, stand im Raum wie ein Fa­nal, das von ih­rer un­ge­bro­che­nen Schön­heit kün­de­te.
    In vie­len wohl­ge­setz­ten, be­ru­hi­gen­den und auf­mun­tern­den Wor­ten hat­te Dok­tor At­kin­son bald ei­ne wah­re Lau­be des Ver­trau­ens, ja bei­na­he der Zärt­lich­keit über dem klei­nen Tee­tisch er­baut, und dar­um war es für La­dy Ja­ne wie ein har­ter, grau­sa­mer Fall ins Bo­den­lo­se, als er plötz­lich düs­ter und ton­los sag­te:
    »Ja und se­hen Sie, Myla­dy, mei­ne Kar­rie­re als Arzt wird schon in zehn Ta­gen en­den, ich wer­de bis an mein Le­bens­en­de den trau­ri­gen Pos­ten ei­nes Dis­trikts-To­ten­be­schau­ers be­klei­den, weil ich zu mei­ner letz­ten, ab­schlie­ßen­den Prü­fung nicht wer­de an­tre­ten kön­nen!«
    »Noch ei­ne Prü­fung?« frag­te La­dy Ja­ne nicht son­der­lich in­ter­es­siert, denn sie war vollauf da­mit be­schäf­tigt, den Ge­wis­sens­kon­flikt zwi­schen ih­rer Trau­er um Ne­ville und der im­mer deut­li­che­ren At­trak­ti­on Bru­ce At­kin­sons zu dämp­fen. Warum gab es auch so schö­ne Män­ner in Lon­don!
    »Ge­wiß, Myla­dy, ich ha­be die aka­de­mi­schen Prü­fun­gen hin­ter mir und bin Arzt, aber ich brau­che noch ei­ne Fach­prü­fung in dem von mir er­wähl­ten Spe­zi­al­fach der Phre­no­lo­gie, der Schä­del­kun­de, um die aus­ge­schrie­be­ne ein­träg­li­che Stel lung am Roy­al In­sti­tu­te for me­di­cal en­gi­nee­ring zu erhal ten.«
    »Und warum wol­len Sie zu die­ser Prü­fung nicht an­tre­ten?«
    Dok­tor At­kin­son reck­te sein un­ta­de­li­ges Pro­fil in tra­gi­scher Po­se ge­gen den Pla­fond und sag­te dumpf:
    »Ich ha­be doch kei­nen Schä­del!«
    Zu ih­rem ei­ge­nen Ent­set­zen muß­te

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