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18 Gänsehaut Stories

18 Gänsehaut Stories

Titel: 18 Gänsehaut Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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ist, schrei­ten wir mit be­hörd­li­cher Ge­neh­mi­gung ins­ge­heim zur ech­ten Be­stat­tung.«
    Die merk­wür­di­ge und durch­aus un­er­war­te­te Kom­pli­ka­ti­on in den letz­ten Stun­den vor dem Staats­be­gräb­nis hat­te La­dy Ja­ne auf das Glück­lichs­te ab­ge­lenkt. Ge­senk­ten Hauptes, in ih­ren Ge­dan­ken aber aus­schließ­lich bei Dok­tor At­kin­son, saß sie in der schwarz­aus­ge­schla­ge­nen Kut­sche, die dem Sarg­wa­gen folg­te, und auch die Ta­ge, Wo­chen und Mo­na­te, die dem To­des­fall folg­ten, ge­hör­ten in im­mer stär­ke­rem Maß der so un­ver­se­hens in ihr Le­ben ge­tre­te­nen Bin­dung. Denn konn­te es ei­ne stär­ke­re Bin­dung ge­ben als die Ge­mein­sam­keit ei­nes so düs­te­ren Ge­heim­nis­ses?
    Im Ju­ni 1896, schick­li­cher­wei­se erst vier Wo­chen nach Ab­lauf des Trau­er­jah­res, trat La­dy Ja­ne mit Dok­tor Bru­ce At­kin­son vor den Al­tar von Saint Ma­rys Church in West-Bromp­ton, und der jun­ge Ge­lehr­te, der im Roy­al In­sti­tu­te of me­di­cal en­gi­nee­ring ei­ne viel­be­ach­te­te Spe­zi­al­ab­tei­lung auf­ge­baut hat­te, er­öff­ne­te in dem ge­räu­mi­gen Wohn­haus sei­ner jun­gen Frau am Bel­gra­ve Squa­re ei­ne klei­ne, aber ein­träg­li­che Pri­vat­pra­xis.
    In die­ser mit den neues­ten Ap­pa­ra­ten und Be­hel­fen aus­ge­stat­te­ten Or­di­na­ti­on un­ter­such­te At­kin­son ei­nes Ta­ges, es war ge­gen En­de des zwei­ten Ehe­jah­res, sei­ne jun­ge Frau. Ja­ne war nun drei­und­zwan­zig Jah­re alt, ih­re Schön­heit war, dank der Lie­be und der Zärt­lich­keit ei­nes jun­gen Gat­ten, voll er­blüht, ih­re grü­nen Au­gen blitz­ten vor Le­bens­lust, und ihr Mund, den sie mit­un­ter, wie ei­nem fer­nen Lied lau­schend, leicht öff­ne­te, war ei­ne Ver­lo­ckung für je­den, der sie sah.
    »Ich bin zwar kein Gy­nä­ko­lo­ge«, sag­te At­kin­son, wäh­rend Ja­ne sich hin­ter dem Wand­schirm ent­klei­de­te, »aber ehe ich mei­ne schö­ne Frau ei­nem Kol­le­gen über­las­se, will ich doch selbst ein­mal se­hen, was dir Be­schwer­den macht. So bit­te, nimm hier Platz. Le­ge dich zu­rück, kei­ne Sor­ge, ich un­ter­su­che nur …«
    Ja­ne hat­te sich et­was scheu auf den großen wachs­tuch­be­spann­ten Tisch zu­be­wegt. War At­kin­son auch ihr Mann, hat­ten sie in vie­len Näch­ten auch kei­ne Ge­heim­nis­se vor­ein­an­der, so war es doch das ers­te­mal, daß sie sich hier, im hel­len Ta­ges­licht und zwi­schen den fremd an­mu­ten­den Ge­gen­stän­den sei­ner Pra­xis­räu­me, nackt vor ihm zeig­te. Nach kur­z­er Un­ter­su­chung wuß­te er, was ihr Schmer­zen be­rei­te­te:
    »Ein Ab­szeß, Ja­ne, ein ba­na­les klei­nes Ge­schwür, nur an ei­ner dum­men Stel­le … Des­we­gen brauchst du wirk­lich nicht zu Sir Ed­win zu ge­hen, das ma­che ich gleich selbst.«
    »Du tust mir doch nicht weh, Bru­ce?«
    »Wo denkst du hin! Ich ha­be doch Lach­gas … Ich bin­de dich nur fest, da­mit du mir im Lach­gas­räusch­lein nicht vom Tisch kol­lerst. So, das hät­ten …«
    At­kin­son un­ter­brach sich, denn es hat­te eben ge­klin­gelt.
    »Pa­me­la hat Aus­gang«, sag­te Ja­ne, »aber ich bit­te dich, ge­he jetzt nicht öff­nen, mir ist das hier doch ein we­nig un­heim­lich.«
    Es klin­gel­te aber­mals, und At­kin­son wur­de ner­vös.
    »Ich se­he doch ein­mal nach«, sag­te er, »es kann die Nach­mit­tags­post sein, die möch­te ich doch lie­ber in Emp­fang neh­men. Ich bin gleich zu­rück.«
    Aber er kam nicht gleich zu­rück. Statt des­sen ver­nahm Ja­ne mit im­mer stär­ke­rer Un­ru­he Stim­men in der Hal­le. Die ihr un­be­kann­te Stim­me des Be­su­chers wur­de im­mer lau­ter, und nun ver­moch­te sie je­des Wort zu ver­ste­hen:
    »Mit Ih­rem Ge­lehr­ten­schä­del ha­ben Sie mich um mei­ne Zu­kunft ge­bracht, At­kin­son«, schrie der Frem­de, »es war glat­ter Ho­kus­po­kus, da­mit im letz­ten Au­gen­blick auf­zu­war­ten, so daß ich mir kei­nen gleich­wer­ti­gen Ca­sus mehr be­schaf­fen konn­te. Und jetzt sit­zen Sie hier im Fett. Wo­zu brau­chen Sie denn das Amt im In­sti­tut, Ih­re Frau ist doch reich, Sie ha­ben ei­ne Pra­xis …«
    Die lei­se­re Stim­me, die ih­res Gat­ten,

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