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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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er­staunt: »Das ist ja ein Te­le­gramm! ›Sieh Dich vor!‹, un­ter­zeich­net ›H‹.«
    Ich sag­te ihm, daß auch ich es so hö­re.
    Wir horch­ten und be­ob­ach­te­ten dann noch ei­ne Wei­le. Er­klä­ren konn­te auch er sich die Sa­che nicht. Schließ­lich ver­ließ er mich und ging wie­der auf sein Zim­mer, nicht oh­ne vor­her noch weid­lich über die Ge­schich­te ge­lacht und sie für Un­sinn er­klärt zu ha­ben.
    Dann ging auch ich auf mein Zim­mer und setz­te mich an den Tisch, um noch über die Sa­che nach­zu­den­ken; zum Schla­fen war ich doch zu auf­ge­regt.
    End­lich er­hob ich mich, ging zum Wasch­tisch, um mich aus­zu­klei­den, und sah, noch im­mer über das Te­le­gramm nach­den­kend, in den Spie­gel.
    Ich war starr! Auf dem Platz, den ich eben noch ein­ge­nom­men hat­te, saß ein Mann und schrieb!
    Das Blut stock­te mir in den Adern. Es war mir un­mög­lich, mich um­zu­wen­den und der Er­schei­nung di­rekt ins An­ge­sicht zu se­hen. Mei­ne Au­gen wa­ren wie ge­bannt an das Bild im Spie­gel!
    Es war ein großer, schlan­ker Mann. Sein Ge­sicht war farb­los, weiß wie Kalk, und un­ter den Au­gen sah ich große, dunkle Rin­ge. Ein ähn­li­ches Ge­sicht hat­te ich einst in der Morgue, der Pa­ri­ser Lei­chen­hal­le, ge­se­hen. Der grün­li­che Schat­ten un­ter den Au­gen je­nes To­ten hat­te ge­nau die­sel­be Far­be wie die dunklen Rin­ge un­ter den Au­gen die­ses Man­nes.
    Ich be­ob­ach­te­te sei­ne Hand – sie mal­te ein großes ›S‹. Dann kam ein ›i‹, ein ›e‹ und ›h‹. Dann schrieb sie ein großes ›D‹ und so fort. – »Sieh Dich vor!‹ Ich wuß­te ge­nau, wie der nächs­te Buch­sta­be lau­ten wür­de – es war ein ›H‹.
    Der Mann stand auf. Von mei­ner An­we­sen­heit schi­en er nichts zu wis­sen. Er sah we­der nach mir, noch wen­de­te er über­haupt sein Ge­sicht. Laut­los ging er durch die of­fe­ne Tür hin­aus auf den Kor­ri­dor.
    Ich stand und sah in den Spie­gel, nicht im­stan­de, mich zu be­we­gen. Je­den Au­gen­blick er­war­te­te ich die Rück­kehr der Er­schei­nung aus dem Dun­kel des Kor­ri­dors. Aber sie kam nicht zu­rück, und ich fand schließ­lich den Mut, an den Tisch zu tre­ten, um zu se­hen, was dort ge­schrie­ben stand. Wie groß aber war mein Er­stau­nen, als ich nicht ein ein­zi­ges Wort fand.
    Ich ging zur Tür, schloß sie lei­se und nahm Platz. Hat­te ich ge­träumt? Was war ei­gent­lich ge­sche­hen?
    Wie lan­ge ich in die­ser Ver­fas­sung ge­ses­sen ha­be, weiß ich nicht; aber plötz­lich hör­te ich das lus­ti­ge Zwit­schern der Vö­gel aus dem na­hen Gar­ten zu mir drin­gen.
    An Schlaf war bei mei­nem auf­ge­reg­ten Zu­stand nicht zu den­ken. Mein Kopf glüh­te fie­ber­haft, ich ging des­halb an das Fens­ter, um die küh­le Mor­gen­luft zu at­men.
    Ei­ne Zeit­lang sah ich hin­un­ter in die Stra­ßen, die um die­se Zeit gänz­lich ver­ein­samt la­gen. Da, wie aus der Er­de auf­tau­chend, er­schi­en auf dem Geh­steig drü­ben plötz­lich ein Mann. Er ver­ur­sach­te nicht das ge­rings­te Ge­räusch; geis­ter­haft schi­en er über das Pflas­ter da­hin­zu­schwe­ben.
    Als er sich mei­nem Fens­ter ge­gen­über be­fand, blieb er ste­hen. Er dreh­te mir an­fangs den Rücken zu; plötz­lich aber wand­te er sich zu mir um und sah mir ins Ge­sicht.
    Un­se­re Bli­cke tra­fen sich. Ein angst­vol­ler Aus­druck war in sei­nen Zü­gen, und er zeig­te mit dem Arm nach Os­ten.
    Es war der Frem­de, der mich in der Nacht be­sucht hat­te!
    Be­stürzt von all die­sem Ge­heim­nis­vol­len lehn­te ich mich weit aus dem Fens­ter und rief den Frem­den, als er sich zum Ge­hen wand­te, mit lau­ter Stim­me an.
    Ob er mich nicht hör­te oder nicht hö­ren woll­te, – ich weiß es nicht. Je­den­falls be­ach­te­te er we­der mein Ru­fen, noch blick­te er sich um; ich be­merk­te nur noch, daß er um die nächs­te Stra­ßen­e­cke ver­schwand.
    So rasch ich konn­te, lief ich die Trep­pe hin­un­ter und auf die Stra­ße, um ihm zu fol­gen. Ich er­reich­te die Ecke, um die er ge­gan­gen war, noch be­vor er bei der nächs­ten Ecke an­ge­langt sein konn­te. Aber kei­ne Spur mehr von ihm war zu se­hen. Auch wenn er ge­lau­fen wä­re, hät­te er mir nicht so schnell aus den Au­gen kom­men

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