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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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ver­stri­cken; aber das Spre­chen be­hag­te ihm nicht. Als er be­zahlt hat­te, wand­te er sich zum Ge­hen.
    Es war nun für mich höchs­te Zeit, zu han­deln. Ich be­rühr­te sei­nen Arm und sag­te: »Ent­schul­di­gen Sie …«
    Es war der schlech­tes­te Ge­dan­ke, der mir kom­men konn­te; denn der Frem­de durch­schau­te mei­ne Ab­sicht so­fort. Mit ei­nem Fluch warf er sich auf mich und pack­te mich blitz­schnell bei der Keh­le.
    »Du Schuft, du willst mich fan­gen!« zisch­te er.
    Er preß­te sei­nen Dau­men tief in mei­nen Hals und drück­te mir so die Luft ab. Mir schwan­den die Sin­ne.
    Als ich wie­der zu mir kam, be­fand ich mich in ei­nem Hos­pi­tal­zim­mer. Man er­zähl­te mir, der Frem­de hät­te mich bei­na­he ge­tö­tet, aber zur rech­ten Zeit sei­en die Schutz­leu­te er­schie­nen und hät­ten mich be­freit.
    Vor dem Un­ter­su­chungs­rich­ter be­kann­te der Ge­fan­ge­ne, daß er der Mör­der von Whi­techa­pel­hou­se sei. Spä­ter wur­de er zum To­de ver­ur­teilt.
    Der Mör­der hat­te einen Be­kann­ten in Louth, na­mens An­thony Usi­na. Er ver­lor einst ge­gen die­sen im Spiel ei­ne grö­ße­re Sum­me. Durch den Ver­lust und durch reich­lich ge­nos­se­nen Al­ko­hol er­regt, fing er mit ihm Hän­del an, die je­doch zu sei­nen Un­guns­ten aus­fie­len. Er schwor sei­nem Freun­de Ra­che; und als Usi­na nach Lon­don ging, folg­te er ihm.
    Des Mör­ders Bru­der, ein in Louth hoch­an­ge­se­he­ner Mann, der sei­ne Ab­sicht er­riet, be­müh­te sich ver­ge­bens, ihn zu­rück­zu­hal­ten. Er woll­te nicht in­di­rekt den Tod ei­nes Men­schen ver­schul­den; und des­halb schick­te er das Te­le­gramm an Usi­na, um ihn zu war­nen. Ei­ni­ge Stun­den spä­ter er­lag er plötz­lich ei­nem Schlag­an­fall.
    Die­ser plötz­li­che Tod ist mei­ner An­sicht nach die un­mit­tel­ba­re Ur­sa­che der Er­schei­nung und des ei­gen­tüm­li­chen Tröp­felns ge­we­sen. Die Ge­dan­ken des Man­nes hat­ten sich un­aus­ge­setzt mit der Ver­hin­de­rung des ge­plan­ten Ver­bre­chens be­schäf­tigt. Sein Tod aber mach­te es ihm un­mög­lich, dem Mor­de vor­zu­beu­gen. Der Kör­per war tot, der Geist je­doch leb­te wei­ter und ver­such­te, al­ler ir­di­schen Fes­seln le­dig, mich als den ein­zi­gen, der von dem Te­le­gramm wuß­te, zu be­we­gen, den Er­mor­de­ten zu war­nen.
    Ich kam zu spät. Doch wenn ich auch nicht das un­glück­li­che Op­fer vor dem To­de be­wah­ren konn­te, so wur­de ich doch in je­ner Nacht zum Werk­zeug des Schick­sals, das den Mör­der er­eil­te, als er sich am si­chers­ten fühl­te.

Der ge­raub­te Arm von
Vilhelm Bergsöe
     
     
    Die ›Ge­spens­ter­no­vel­len‹ des dä­ni­schen Zoo­lo­gen und Schrift­stel­lers Vil­helm Bergsöe (1835-1911) er­schie­nen in der Über­set­zung Adolf Strodt­manns 1873 in Ber­lin, ein Jahr nach der dä­ni­schen Erst­aus­ga­be. Sie mach­ten den Na­men die­ses in sei­ner Hei­mat viel­ge­le­se­nen Au­tors auch in Deutsch­land be­kannt. Ei­ne Rei­he sei­ner Er­zäh­lun­gen und Ro­ma­ne spielt in Ita­li­en, wo Bergsöe lan­ge Zeit leb­te. ›Der ge­raub­te Arm‹ ist ei­ne sei­ner bes­ten Ge­spens­ter­no­vel­len, die sich durch ei­ne span­nen­de Hand­lung, den Reich­tum an in­ter­essan­ten Cha­rak­teren aus dem Stu­den­ten­mi­lieu und durch ef­fekt­voll wech­seln de, aben­teu­er­li­che und schau­ri­ge Sze­nen aus­zeich­nen.
     
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    Es war Weih­nachts­abend. Drau­ßen auf den Fel­dern lag der Schnee dick und dicht in sanf­ten Wel­len­li­ni­en über der Er­de; er hing wie Sil­ber­tuch auf den schwar­zen Dorn­he­cken, von wel­chen dann und wann ein aus sei­ner Nachtru­he em­por­ge­scheuch­ter Vo­gel auf­flog, – em­por­ge­scheucht durch das Schel­len­ge­läut ei­nes Schlit­tens, der sich in ra­scher Fahrt dem Pfarr­hau­se nä­her­te, des­sen Fens­ter am En­de der Dorf­stra­ße blink­ten.
    Im Pfarr­hau­se war al­les voll stil­ler Er­war­tung. Die Ju­gend war in der großen Gar­ten­stu­be ver­sam­melt, man hat­te um den Weih­nachts­baum ge­tanzt, man hat­te ihn ge­plün­dert und die Lich­ter aus­ge­löscht, man hat­te Vet­ter Ja­kobs sinn­rei­chen Ein­fall be­wun­dert, einen

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