18 Geisterstories
Gestalt einer großen, mageren, eng um die Kehle des Toten gekrallten Hand.
Das geheimnisvolle Telegramm von
Anonymus
Der englische Autor dieses Geheimnisvollen Tele gramms‹ ist unbekannt; es wäre indes schade, wenn seine kleine Gespenstergeschichte dasselbe Schicksal ereilte. Es ist nämlich eine Geschichte für all jene Leser, die sich für völlig normal halten und da meinen, sie könnten über Geister, Spiritismus und dergleichen ganz und gar nicht normale Erscheinungen lachen … Dem Telegrafisten Davison, unserem glaubwürdigen Berichterstatter, ist jedenfalls das Lachen vergangen.
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Gegenüber der Westfront des Hauptpostamtes in London steht ein kleines Haus, in dem die Beamten des Telegrafenbüros einmal wöchentlich ihren Klubabend abhielten.
An einem solchen Abend war es, als uns unser alter Kollege, der Telegrafist Davison, eine seltsame Begebenheit aus seinem Leben mitteilte.
Doch ich will ihn selbst erzählen lassen …
Wie ihr wißt, begann er, bin ich seit dreizehn Jahren Telegrafist. Ich bin kein nervöser oder überspannter Mensch. Im Gegenteil: ich habe stets gelacht über Geistergeschichten, Spiritismus, Erscheinungen und dergleichen, und diejenigen, die daran wirklich glauben, als geistig nicht normal bedauert.
Diese Meinung hielt ich aufrecht, bis ich selbst etwas erlebte, das über die Grenzen des Natürlichen ging. Meine Dienstzeit in dem Londoner Büro, in dem ich seit vier Jahren angestellt war, begann abends 7 ½ Uhr und dauer te bis 2 ½ Uhr nachts.
Eines Abends fühlte ich mich nicht ganz wohl und erbat mir daher die Erlaubnis, etwas früher nach Hause gehen zu dürfen. Kurz vor meinem Fortgehen hatte ich noch ein Telegramm auszufertigen. Es war an einen in Whitechapel wohnenden Mann adressiert, enthielt nur die Worte ›Sieh Dich vor‹, und war unterzeichnet mit ›H‹.
Ich beförderte das Telegramm, übergab meinen Dienst einem Kollegen und ging heim.
Bevor ich mich schlafen legte, trat ich zufällig noch einmal auf den Korridor hinaus und bemerkte, daß im Badezimmer, dessen Tür halb offen stand, Licht brannte. Dies kam mir sonderbar vor; denn es war niemand im Zimmer, und ich selbst hatte das Licht nicht angezündet.
Ich ging hinein, um die Lampe auszulöschen. Da sah ich, daß der eine Wasserhahn nicht vollständig geschlossen war; in bestimmten Zwischenräumen fielen Tropfen auf den Boden der Badewanne. Das Geräusch, das sie hervorriefen, irritierte mich. Aufhorchend blieb ich stehen. Wahrhaftig, die Tropfen schienen mir in einer seltsam unregelmäßigen Weise zu fallen.
Aufmerksam lauschte ich und sagte dann beinahe mechanisch zu mir selbst: »Das klingt ja wie ein Telegramm!«
Tropp-tropp, tropp-tropp-tropp … es war tatsächlich ein Telegramm!
Deutlich hörte ich, wie verschiedene Male wiederholt wurde: ›Sieh Dich vor!‹, und dann folgte nach einer kurzen Pause das Zeichen ›H‹.
Ich traute meinen Ohren nicht: es war das Telegramm, das ich zuletzt expediert hatte. Verblüfft setzte ich mich auf den Rand der Badewanne, lauschte, beobachtete den Wasserhahn, aber – kein Zweifel, es war das Telegramm: ›Sieh Dich vor!‹
Im höchsten Grade erstaunt, ging ich zu einem Kollegen, der eine Etage unter mir wohnte, und bat ihn, zu mir heraufzukommen. Auch er sollte sich von der eigentümlichen Erscheinung überzeugen.
Es war inzwischen spät geworden, und der Kollege hatte sich schon zu Bett begeben. Er war über die Störung nicht gerade erfreut, erklärte sich jedoch schließlich bereit, mir zu folgen.
Von dem Telegramm erzählte ich ihm nichts. Ich woll te sehen, ob auch er es hören würde. Er lauschte und sagte dann
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