Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
Vom Netzwerk:
Pra­xis fah­ren«, schal­te­te Ja­kob ein. »Sie sind ja der größ te Mär­chen­dich­ter der Ge­gend. Sie müs­sen uns wirk­lich ei­ne Ge­schich­te er­zäh­len; denn als ich in Eng­land war …«
    »Sei’s denn!« un­ter­brach ihn Dok­tor Siem­sen mit ei­nem fei­nen iro­ni­schen Lä­cheln, das Vet­ter Ja­kob nicht be­merk­te. »Was wün­schen Sie?«
    »Ei­ne rech­te Weih­nachts­ge­schich­te«, rief Vet­ter Ja­kob, »et­was Ro­man­ti­sches, et­was Dä­mo­ni­sches á la Di­ckens.«
    »Ja, ei­ne Spuk­ge­schich­te!« stimm­te der äl­tes­te Pfar­rers­kna­be ein. »Dann bla­sen wir die Lich­ter aus und schrau­ben die Lam­pe nie­der, und dann schreit Ka­ro­li­ne, wenn das Ge­spenst kommt.«
    »Wie ab­scheu­lich du bist, Fritz!« schmoll­te Ka­ro­li­ne und ward blut­rot. »Das hab’ ich nur ein­mal ge­tan, und das sind über fünf Jah­re her. Jetzt will ich ge­ra­de ei­ne Spuk­ge­schich­te ha­ben.«
    »Ach nein, nein, bes­ter Dok­tor Siem­sen!« rief ei­ne der Freun­din­nen aus der Stadt. »Er­zäh­len Sie lie­ber et­was Spaß­haf­tes aus Ih­rer Ju­gend­zeit, et­was aus dem Stu­den­ten­le­ben, das ver­ste­hen Sie so präch­tig.«
    »Las­sen Sie ein we­nig Mo­ral dar­in ent­hal­ten sein«, be­merk­te der Pfar­rer, wel­cher eif­rig da­mit be­schäf­tigt war, ei­ne Pfei­fe für sei­nen al­ten Freund zu stop­fen und ein Glas Punsch zu be­rei­ten, das er auf den klei­nen Tisch ne­ben dem Lehn­ses­sel stell­te.
    »Wohl­an«, sag­te der Dok­tor mit ei­nem schel­mi­schen Lä­cheln, »ich will ver­su­chen, das Ver­lan­gen al­ler Tei­le zu be­frie­di­gen, ob­schon mir das schwer ge­nug fal­len mag. Ich sprach un­ter­wegs bei Pe­ter Niel­sen vor, wel­cher ver­gan­ge­nes Jahr über­fah­ren wur­de und den rech­ten Arm brach. Das er­in­ner­te mich an ei­ne klei­ne Ge­schich­te aus mei­ner ers­ten Stu­den­ten­zeit, und auf der Fahrt hier­her hab’ ich über die Form nach­ge­dacht, wel­che man ihr ge­ben könn­te. Wol­len Sie sie hö­ren?«
    Der Pfar­rer nick­te, die Kin­der hat­ten schon ih­re Stüh­le nä­her zu dem jo­via­len Dok­tor her­an­ge­rückt, wel­cher, nach­dem er von dem Punsch ge­nippt und sei­ne Pfei­fe an­ge­zün­det, fol­gen­der­ma­ßen be­gann:
    »Es war in mei­nen jun­gen Ta­gen, das heißt«, füg­te Dok­tor Siem­sen lä­chelnd hin­zu, »ich zähl­te acht­zehn bis neun­zehn Jah­re, als Söl­ling mein Re­pe­tent in der Ana­to­mie war. Die­ser Söl­ling war ein treff­li­cher Bur­sche, stets vol­ler Spa­ße und scherz­haf­ter Ein­fäl­le und im­mer gleich lus­tig auf­ge­legt, ob er nun am Se­zier­ti­sche oder bei ei­ner Bow­le im al­ten Aka­de­mi­kum saß. Er hat­te nur einen Feh­ler, wenn man das über­haupt einen Feh­ler nen­nen kann, näm­lich sei­nen über­trie­be­nen An­spruch auf Pünkt­lich­keit. Kam man nur ei­ni­ge Mi­nu­ten zu spät, gleich brumm­te Söl­ling und wur­de an dem Abend nicht wie­der freund­lich ge­stimmt; er selbst kam nie­mals zu spät, we­nigs­tens nicht in un­se­rem Krei­se.
    An ei­nem Mitt­woch­abend soll­te die klei­ne Schar sich, wie ge­wöhn­lich, prä­zi­se um sie­ben Uhr bei mir in der Re­genz { * } ver­sam­meln. Ich hat­te zu die­sem Zwe­cke die ge­wöhn­li­chen groß­ar­ti­gen Vor­be­rei­tun­gen ge­trof­fen; ich hat­te ein paar Stüh­le zu den mei­ni­gen ge­lie­hen; ich hat­te al­le mei­ne Pfei­fen ge­stopft und hat­te Hans da­zu be­wo­gen, das Früh­stücks­ge­schirr vom So­fa zu ent­fer­nen, wo­hin er es re­gel­mä­ßig stell­te, statt es auf den Kor­ri­dor hin­aus­zu­tra­gen. All­mäh­lich ver­sam­mel­te sich die Ge­sell­schaft, die Uhr schlug sie­ben, aber zu un­se­rer großen Ver­wun­de­rung sa­hen und hör­ten wir nichts von Söl­ling.
    Die Uhr wies zwei, drei, ja fünf Mi­nu­ten nach sie­ben, ehe wir Söl­ling die Trep­pe her­auf­kom­men und in ge­wohn­ter Wei­se mit kur­z­en Schlä­gen an die Tür klop­fen hör­ten. Als er ein­trat, sah er so är­ger­lich und gleich­zei­tig so ver­stört aus, daß ich un­will­kür­lich aus­rief: »Was ist Ih­nen, Söl­ling? Man hat Sie doch nicht be­stoh­len?«
    »Al­ler­dings hat man das«, er­wi­der­te Söl­ling ver­drieß­lich; »und es ist kein

Weitere Kostenlose Bücher