18 Geisterstories
durchgehende Pferde einen Kaleschwagen gegen die Bäume der Allee geschleudert hatten, und daß der Kutscher bei dieser Gelegenheit unters Rad gekommen war, das seinen rechten Arm dicht am Schultergelenk zerknickt hatte. Im Nu war unser lustiger Bankettsaal in ein Lazarett verwandelt. Gläser und Teller mußten Binden, Bandagen und den blinkenden Instrumenten der Verbandtaschen Platz machen, und unsere fröhlichen Lieder wurden von den lauten Wehklagen des unglücklichen Patienten beim Verbinden abgelöst. Die Feststimmung war dahin und wollte nicht mehr zurückkehren, Sölling schüttelte den Kopf und machte eine bedeutungsvolle Gebärde, als der unglückliche Kutscher nach dem Hospital gefahren wurde. Sein Ausspruch lautete dahin, daß der Arm amputiert oder vielmehr im Schultergelenk abgelöst werden müsse, ganz wie es bei unsern Skeletten geschehen war, – »ein verdammt sonderbares Zusammentreffen«, sagte er zu mir.
Schweigend und verstimmt wanderten wir heim auf dem alten Königswege, und zum ersten Male sah die ehrwürdige Regenz ihre Söhne von einem festlichen Gelage heimkehren, gerade als der Nachtwächter in Kannikesträde seine bekannte, bei den Studenten sehr beliebte Variante anstimmte:
Hört, ihr Herren, und laßt euch sagen,
Unsre Glock hat elf geschlagen.
Elf ist der Apostel Zahl,
Judas kommt noch überall.
»Elf!« rief Sölling aus. »Das ist zu früh, um zu Bett zu gehen, und zu spät, uns noch weiter herumzutreiben. Laß uns zu dir hinaufgehen, kleiner Siemsen, und versuchen, heute abend noch unsere Lektion nachzuholen. Du hast Loders anatomische Tafeln, mit denen müssen wir uns behelfen, es wird schwer genug halten, daß wir bis Weihnacht fertig werden. Es war auch ganz ver wünscht, daß uns just heute abend die Arme gestohlen wurden!«
»Der Doktor kann sonst leicht genug Arme und Beine bekommen, mehr als der Doktor braucht«, grinste Hans, der im selben Augenblick aus dem Tore der Regenz hervortrat, wo er Söllings letzte Worte aufgefangen hatte.
»Wieso, Hans?« fragte Sölling verwundert.
»Ih nun«, antwortete Hans, »das kann der Doktor bequem genug haben. Man hat ja das Plankwerk zwischen dem Trinitatis-Kirchhofe und der Porzellanfabrik niedergerissen und eine Rinne gegraben, um ein neues zu setzen. Das sah ich heute selbst, als ich durch den Kirchengang kam; aber herrjeses, was für eine Masse alter Gebeine sie da aufgewühlt haben. Es waren Arme und Beine und Köpfe dabei, mehr als der Doktor zeitlebens gebraucht!«
»Das hilft uns leider nichts, Hans«, entgegnete Sölling. »Der Kirchengang wird ja um vier Uhr geschlossen, und es ist bald halb zwölf.«
»Freilich wird er das«, grinste Hans abermals; »allein es gibt auch eine andere Manier, hineinzukommen, als gerade auf diesem Wege. Wenn der Doktor durch das Tor der Porzellanfabrik gehen wollte, so könnte er über den Hof und die Mühle in den sogenannten vierten Hof gelangen, welcher nach Springgaden hinausführt. Dort gerade haben sie das Plankwerk niedergerissen, und von dort kann der Doktor bequem nach dem Kirchhofe gelangen.«
»Ja, Hans ist ein Genie«, rief Sölling vergnügt, »das hab’ ich immer gesagt. Hör’, kleiner Siemsen, du kennst ja die Fabrik von außen und innen und besuchst oft den Studenten Outzen, welcher dort wohnt. Geh zu ihm hinauf und leihe von ihm den Schlüssel zur Quarzmühle. Du wirst schon den einen oder andern Arm finden, der nicht allzu vermodert ist. Sei nur recht flink und komme bald zurück, dann wollen wir andern dort oben auf dich warten.«
Ich muß ehrlich gestehen, daß ich in diesem Augenblick keine sonderliche Lust hatte, auf den Vorschlag Söllings einzugehen. Ich war in
Weitere Kostenlose Bücher