18 Geisterstories
gewöhnlicher Dieb gewesen«, fügte er hinzu, indem er seinen Oberrock an den Türnagel hängte.
»Was ist Ihnen denn fortgekommen?« fragte mein Schlafkamerad Nansen.
»Beide Arme meines Skeletts, das ich gerade vom allgemeinen Hospital erhalten hatte«, sagte Sölling mit einer Miene, als hätte man ihm seinen letzten Pfennig gestohlen. »Es ist reiner Vandalismus!«
Wir andern brachen in ein Gelächter über einen so absonderlichen Diebstahl aus, aber Sölling fuhr fort:
»Kann jemand von euch das begreifen? Beide Arme futsch, gerade im Schultergelenk abgeschnitten, und, was das Seltsamste ist, dasselbe war bei meinem alten, räucherigen Skelett der Fall, welches drinnen in meiner Schlafstube stand – nicht mehr Arme, als hier auf meiner flachen Hand!«
»Das ist schlimm«, bemerkte ich; »wir sollten ja heute abend gerade die Anatomie des Armes durchnehmen.«
»Osteologie!« verbesserte Sölling ernsthaft. »Hole dein Skelett hervor, kleiner Siemsen! Es ist nicht so gut wie meins, aber wir können uns immerhin für heute damit behelfen.
Ich schritt nach der Fensterecke, wo ich hinter einem einfachen grünen Shirting-Vorhang meine anatomischen Schätze – ›das Museum‹, wie Sölling es nannte – verbarg. Aber wer schildert meine Verblüfftheit, ja, meinen Schreck, als ich zwar mein Skelett auf seinem alten Platze und, wie gewöhnlich, mit der Studentenuniform, Tschako, Säbel und Patronentasche geschmückt fand, aber – ohne Arme.
»Zum Henker!« schrie Sölling, »Das ist derselbe Dieb, der bei mir gewesen ist; die Arme sind ganz auf dieselbe Weise vom Schulterblatte gelöst, wie in meiner Wohnung. Das hast du selbst getan, kleiner Siemsen!«
Ich beteuerte meine vollkommene Unschuld, während ich mich gleichzeitig über die Mißhandlung meines schönen Skeletts ärgerte; aber Nansen rief: »Wartet einen Augenblick, ich bin gleich wieder da.«
Mit diesen Worten schoß er in sein Zimmer, kehrte aber fast in demselben Augenblick blaß und verlegen zurück. Das Skelett war noch dagewesen, aber die Arme waren verschwunden, gestohlen, und die Schulterbänder ganz auf dieselbe Art wie bei dem meinen zerschnitten.
Die Sache, welche an und für sich rätselhaft war, begann jetzt unheimlich zu werden. Vergebens zerbrachen wir uns die Köpfe mit Vermutungen und Erklärungen; wir kamen dadurch nicht weiter und sandten zuletzt jemanden nach der anderen Seite des Korridors, wo der junge Student Ravn wohnte, der, wie ich wußte, von dem Portier des allgemeinen Hospitals gestern ein Skelett erhalten hatte. Hier zeigte sich indes eine neue Schwierigkeit; Ravn war ausgegangen und hatte den Schlüssel mitgenommen. Hans konnte die Tür nicht aufmachen, obschon sie sonst willig genug war, und ein Bote, den wir nach dem Korridor der Isländer hinüber schickten, kam mit dem Bescheide zurück, daß Bjövulf Skafteson seinen Stubengenossen Einar Skallefanger mit dem einzigen dort vorhandenen Skelette solchermaßen ›verarbeitet‹ habe, daß nur noch ein Paar zerbrochene Hüftknochen übrig geblieben. Hier war guter Rat teuer. Keiner von uns begriff den Zusammenhang. Sölling schalt und fluchte abwechselnd, und die Gesellschaft stand im Begriff aufzubrechen, als wir plötzlich jemand die Treppe heraufpoltern hörten. Gleich darauf ward die Tür aufgerissen, und herein trat eine seltsam hohe und dürre Gestalt. Es war Niels Daae, ein ältlicher Student, den wir damals alle sehr gut kannten.
Er war ein schnurriger Gesell, dieser Niels Daae, der echte Typus einer Rasse, die jetzt fast ausgestorben ist, die aber zu meiner Zeit nicht so selten war. Er hatte durch ein seltsames Spiel der Verhältnisse, wie er es selbst
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