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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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dem Al­ter, wo die Pie­tät vor Tod und Grab noch nicht ganz er­lo­schen ist, und der rät­sel­haf­te Vor­fall mit den ge­stoh­le­nen Ar­men spuk­te mir noch im Kopfe.
    In­des­sen fürch­te­te ich Söl­lings iro­ni­sches Ge­sicht und das spöt­ti­sche Ge­läch­ter mei­ner Ka­me­ra­den fast eben­so­sehr, und nach kur­z­em Be­den­ken ging ich mit ei­ner Mie­ne fort, als soll­te ich nur vom Bu­di­ker ein Bund Zi­gar­ren ho­len. Mit vie­ler Mü­he schell­te ich den al­ten Pfört­ner aus sei­nem sü­ßen Schlum­mer em­por, un­ter dem Vor­ge­ben, daß ich ei­ne wich­ti­ge Be­stel­lung an Out­zen hät­te, und dann eil­te ich zu die­sem hin­auf, des­sen Fens­ter nach dem Kirch­ho­fe hin­aus­blick­ten. Out­zen war Theo­lo­ge und ein streng sitt­li­cher Cha­rak­ter; das wuß­te ich sehr wohl und war des­halb ziem­lich dar­auf vor­be­rei­tet, daß er mir den Schlüs­sel ver­wei­gern wür­de, der mir Zu­gang zum vier­ten Ho­fe und von dort aus zum Kirch­ho­fe ver­schaf­fen soll­te.
    Out­zen nahm auch die Sa­che sehr ernst­haft. Er schob die he­bräi­sche Bi­bel, in der er bei mei­nem Ein­tritt ge­le­sen hat­te, zu­rück, schob die Lam­pe em­por und blick­te mich ver­wun­dert an, wäh­rend ich mei­ne Bit­te vor­brach­te.
    »Es ist ein sünd­haf­tes Un­ter­neh­men, das du da vor­hast, lie­ber Siem­sen«, sag­te er ernst­haft, »und du tä­test am bes­ten, da­von ab­zu­las­sen. Von mir er­hältst du kei­nen Schlüs­sel zu sol­chem Zweck. Der Frie­de des Gra­bes ist hei­lig und un­ver­letz­lich; den darf nie­mand stö­ren.«
    »Wie denkst du dann über den To­ten­grä­ber? Der legt je­den Tag neue Lei­chen zu den al­ten, und lebt dar­um nicht min­der.«
    »Er tut nur sei­ne Pflicht«, ant­wor­te­te Out­zen ru­hig, »und kei­ner wird ihn darob schel­ten. Aber der, wel­cher aus über­mü­ti­ger Lau­ne und noch mit dem Punsch­damp­fe im Kopfe den Frie­den des Gra­bes stört, mit dem ist’s ein an­der Ding – er wird nicht der Stra­fe ent­ge­hen.«
    Ich leug­ne nicht, daß Out­zens Wor­te mich reiz­ten; denn zu hö­ren, daß man im Be­griff ste­he, ei­ne ver­we­ge­ne Tat zu be­ge­hen, nur weil man be­trun­ken und über­mü­tig sei, ist et­was, das man sich nicht gern sa­gen läßt, zu­mal wenn man kaum zwan­zig Jah­re auf dem Rücken hat. Oh­ne ein Wort auf sei­ne Ein­wen­dun­gen zu er­wi­dern, riß ich da­her den großen, mir wohl­be­kann­ten Schlüs­sel vom Tür­pfos­ten und war in zwei Sprün­gen drau­ßen auf der Trep­pe, in­dem ich schwor, mir einen Arm zu ver­schaf­fen, kos­te es, was es wol­le, und da­durch so­wohl Out­zen als auch Söl­ling und al­len an­dern zu be­wei­sen, daß ich ein Teu­fels­kerl, so recht ein be­herz­ter Bur­sche sei.
    Mit klop­fen­dem Her­zen schlich ich durch den lan­gen, fins­te­ren Gang, wel­cher, an den Über­res­ten des St. Cla­ra-Klos­ters vor­über, in den so­ge­nann­ten drit­ten Hof führt. Hier nahm ich ei­ne La­ter­ne aus der Kut­scher­kam­mer, zün­de­te sie an und ging, mit der La­ter­ne in der Hand, auf die mir wohl­be­kann­te Müh­le zu, wo der Quarz zer­malmt und ge­mah­len wird. Wie selt­sam sah sie doch bei der fla­ckern­den Be­leuch­tung des Talg­lichts in der La­ter­ne aus, mit ih­ren vie­len Kamm­rä­dern, Trie­b­rä­dern und Wal­zen, mit ih­ren Knet­ma­schi­nen und Stamp­fen, un­ter wel­chen die Stei­ne zer­malmt wer­den! Schon hier be­gann der Mut mir zu sin­ken, als ich die dump­fe, feuch­te Luft ein­at­me­te; aber ich er­mann­te mich, putz­te das Licht, und schloß die Tü­re zum vier­ten Hof mit dem Schlüs­sel auf, den ich so­dann wie­der zu mir steck­te. We­ni­ge Schrit­te, und ich be­fand mich im Ho­fe und stand einen Au­gen­blick spä­ter auf der Grenz­schei­de. Das gan­ze ho­he, schwar­ze Plank­werk war in sei­ner Län­ge nie­der­ge­ris­sen, und man hat­te die Er­de tief auf­ge­gra­ben, um fes­ten Halt für ei­ne neue Schei­de­mau­er zwi­schen Le­ben und Tod zu ge­win­nen. Die öde, un­heim­li­che Lee­re des Or­tes er­griff mich tief, und un­will­kür­lich stand ich still, um mich gleich­sam ge­gen die Si­tua­ti­on zu stäh­len.
    Es war ein rau­her, kal­ter, stür­mi­scher Abend; die Wol­ken trie­ben schnell und in

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