18 Geisterstories
Allmählich vermochte ich die einzelnen Gestalten zu unterscheiden. Alle trugen die alten Trachten der Holbergschen Zeit: Die Damen Brokat- und Atlasgewänder, mit Perlenschnüren im hoch aufgetürmten, stark gepuderten Haare; die Herren meist Uniformen mit Kniehosen und Degen, den Chapeaubas unter dem Arme. Vor allem jedoch zog die Braut meine Aufmerksamkeit an. Sie war in weißen Atlas gekleidet, und auf den gepuderten Locken, die halb von dem herabwallenden Schleier verdeckt wurden, lag ein welker Myrtenkranz. Ihr zur Seite schritt der Bräutigam in roter Uniform und mit einem Stern auf der Brust. Sie näherten sich dem Altare, wo ein Geistlicher im schwarzen Ornat und mit weißer Allongeperücke sie erwartete. Sie traten vor ihn hin, und ich konnte deutlich wahrnehmen, daß er ein Ritual oder eine Formel aus der Agende verlas, die er in der Hand hielt, und deren Goldschnitt im Lichte funkelte.
Einer von dem Gefolge schritt heran und schnallte den Degen des Bräutigams los, welcher darauf seine rechte Hand der Braut entgegenstreckte.
Sie wollte ihm die ihre geben, aber im selben Augenblick stürzte sie ohnmächtig nieder. Das ganze Gefolge drängte sich um die Braut, welche bewußtlos vor den Altarstufen lag, – da erloschen plötzlich die Lichter, der Orgelklang verstummte, und die Gestalten zerflossen wie bleiche Nebelmassen.
Draußen auf dem Platze jedoch nahm die Helligkeit zu, das Glockengeläut dauerte fort, und plötzlich öffneten sich weit die Flügel der Kirchentür, und derselbe Hochzeitszug bewegte sich über den Platz. Ich wollte entfliehen; aber es war mir nicht möglich, eine Muskel zu regen. Starr und festgebannt mußte ich auf die geisterhaften Gestalten hinabstieren, die näher und näher zu mir heranrückten. Zuerst kam der Prediger, dann der Bräutigam mit der Braut, und als letztere ihre Augen erhob und den Blick auf mich heftete, erkannte ich, daß es das junge Mädchen aus dem Garten war. Es lag etwas so Schmerzliches, so Wehmütiges und so Flehendes in diesem Blick, daß ich ihn kaum zu ertragen vermochte; aber nimmer vermag ich das erschütternde Gefühl zu schildern, das mich durchzuckte, als ich plötzlich wahrnahm, daß der rechte Ärmel ihres weißen Atlasgewandes leer und schlaff herunterhing.
Ein eisiges Grausen ergriff mich. Ich fühlte, daß die Schar eine bestimmte Mission hatte; ich wußte, sie werden herankommen und Rechenschaft von mir fordern, obschon die klafterdicken Mauern der Regenz zwischen ihr und mir lagen. Schaudernd blieb ich stehen, bis das letzte Paar vom Platze verschwunden war. Da hörte ich die Glocke der Regenz erschallen, – nicht wie sonst mit lustigem, vergnügtem Tone, sondern mit einem seltsam heiseren, trockenen, geborstenen Klange, und gleich darauf knarrte das Tor in seinen Angeln. Ich wandte mich gegen die Tür, ich wußte, daß sie verschlossen sei, und doch wußte ich, daß mir das nichts nützen würde, daß sie hereinkommen würden, selbst wenn eine eiserne Mauer zwischen ihnen und mir läge. Seltsam knisterte und rauschte es durch die Luft, bald wie Seide und Atlas, die an den Treppen- und Türpfosten anstießen, bald wie das dürre, raschelnde Rohr, wenn der Wintersturm durch dasselbe hinseufzt. Näher und näher kamen die schrecklichen Gestalten; die Tür ging nicht auf, aber es war, als würde sie in einem gläsernen Nebel verwandelt, aus welchem die bleichen Gestalten hervorquollen. Mehr, immer mehr drängten sich herein, enger, immer beengter ward der Raum in meinem Zimmer, aber da war es, als böten die Mauern den drohenden Geistern kein Hindernis, als gäbe es für sie nichts Festes, nichts Undurchdringliches. Dichter und dichter scharten sie sich um mich her
Weitere Kostenlose Bücher