18 Geisterstories
wegzunehmen; ich gehe gleich zurück und lege ihn wieder hin.«
»Nein, hört nur!« schrie Sölling unter dem unauslöschlichen Gelächter der andern. »Jetzt wird die Sache, meiner Treu’, kadaver-lyrisch in des Wortes eigentlichster Bedeutung. Ich will den Arm haben, was es auch kosten mag.«
»Nein«, rief Niels Daae, »dazu bist du nicht berechtigt. Er ist begraben und in der Erde gefunden, reines Fundgut, und wir andern haben ebensoviel Recht daran wie du.«
»Jawohl, jeder kann seinen Teil davon nehmen«, schrie einer von der Gesellschaft.
»Daraus wird nichts«, rief Sölling. »Es wäre ja der schändlichste Vandalismus, den Arm zu zersplittern. Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden«, fügte er pathetisch hinzu.
»Versteigert ihn!« schrie Nansen, »und laßt das Geld in die Kneipkasse wandern, die bedarf dessen sehr.«
»Jawohl, der Arm soll versteigert werden«, rief Daae, in welchem plötzlich der Jurist erwacht war. »Stille, meine Herren, il ne faut pas rire de la mort, wie Napoleon sagte. Ich bin Auktionator, und der Kirchhofsschlüssel soll den Hammer spielen.«
Ein neues Gelächter erfolgte, als Daae mit gravitätischer Würde am Ende des Tisches Platz nahm und mit näselnder Stimme und monotoner Aussprache losschnarrte:
»Hiermit wird allen kund und zu wissen getan, daß am 25. November, Mitternachts präzise zwölf Uhr, auf dem Korridor der Regenz, Nummer fünf, ohne Abhaltung weiterer Auktionen, zu absolutem Verlauf ein schöner und zierlicher Damenarm mit dazugehörigem Inventar von Handwurzelknochen und Zwischengelenken samt Fingerspitzen in heilem und gutem Zustande ausgeboten wird. Es wird bemerkt, daß das Verkaufte unmittelbar nach der Auktion abzuholen ist, in der Verfassung, in welcher es sich beim Zuschlage befindet, und wird zahlungsfähigen Käufern ein sechswöchentlicher Kredit gewährt. – Ein dänischer Schilling ist geboten!«
»Eine Mark!« rief Sölling spöttisch.
»Zwei Mark!« schrie einer von der Gesellschaft.
»Vier!« steigerte Sölling. »Das ist er rechtschaffen wert. Biete mit, Siemsen! Du siehst ja aus, als säßest du in einer Waschballje mit lebendigen Stichlingen.«
Ich bot gezwungen eine Mark mehr. Sölling bot einen Reichstaler; niemand ging höher, der Hammer fiel, und der Arm gehörte Sölling.
»Sei so gut«, sagte dieser, indem er mir ein Markstück reichte, »das hast du redlich verdient. Das ist dein Handgeld als Leichenräuber. Den Rest sollst du nächstens erhalten, falls du nicht vorziehst, ihn der Kneipkasse zu überweisen.«
Mit diesen Worten wickelte Sölling den Arm in ein Zeitungsblatt. Alle erhoben sich, und gleich darauf polterte die lustige Gesellschaft die Treppe hinab, das Tor der Regenz wurde zugeschlagen, der Lärm verhallte auf der Straße, und alles ward still wie das Grab.
Es war ein seltsamer Übergang. Ich stand halb betäubt da und stierte das in Empfang genommene Markstück an, daß ich endlich mechanisch in die Westentasche steckte. Meine Gedanken waren noch in zu starker Bewegung, mein Gemüt zu aufgeregt, als daß ich hätte schlafen können. Ich schob die Lampe so hoch wie möglich empor und ergriff mein anatomisches Kollegienheft nebst Loders Tafeln, um mich durch Lektüre zu beruhigen; aber das wollte mir nicht gelingen, dazu war die Unruhe meines Gemütes zu groß. Plötzlich hörte ich einen Ton wie von einem schwingenden Perpendikel. Ich erhob das Haupt und horchte gespannt; denn weder in meinem Zimmer noch in dem Nebenzimmer befand sich eine Uhr, aber der Ton dauerte fort; im selben Augenblick begann meine Lampe zu flackern, es fehlte ihr offenbar an Öl. Gerade als ich mich erheben wollte, um sie wieder zu füllen, fiel
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